25. Juli 2003 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Fernsehen, Rezension | Kleine Fernsehspiele

Die Zärtlichkeit gegenüber dem Nichts

Das Kleine Fernsehspiel des ZDF zeigt unter dem Titel GEFÜHLSECHT acht junge deutsche Filme, die besser sind als ihr Ruf

Acht sogenannte junge deutsche Filme, die Hälfte davon ganz gut – einer richtig gut. Man könnte sagen, daß das im Grunde eine bessere Ausbeute ist als bei acht beliebigen amerikanischen Filmen. Andererseits lief der richtig gute Film sogar in einigen Kinos und kam dabei nur auf etwas über fünftausend Zuschauer. Erst bei der zehnfachen Menge hätte er sich für die Filmförderung qualifiziert, so daß auch seine Teilnahme am Panorama der Berlinale keine Förderpunkte gebracht hätte. Der Film heißt BUNGALOW, und irgendwie macht sein mangelnder Kinoerfolg das ganze Dilemma der deutschen Filmlandschaft sichtbar. Bekanntere Schauspieler hätten dem Film nur seinen Reiz genommen; mehr Werbung hätte vermutlich nur größere Kosten verursacht; und bessere Kritiken konnte er gar nicht bekommen. Man kann es drehen und wenden, wie man will, man muß dem Kleinen Fernsehspiel des ZDF dankbar sein, daß es solche Filme ermöglicht.

BUNGALOW bildet am 8. September den Abschluß einer Reihe von acht Filmen, die das ZDF nun unter dem fröhlich formulierten, völlig austauschbaren Titel „Gefühlsecht“ jeweils freitags um 23 Uhr oder noch später ausstrahlt. Natürlich sind alle Gemeinsamkeiten über die Tatsache hinaus, daß es sich um sogenannte Nachwuchsregisseure handelt, reine Behauptung. Wenn man möchte, läßt sich allenfalls ein etwas genauerer Blick auf bestimmte Milieus feststellen, der die frühere Austauschbarkeit von Schauplätzen und Berufen abgelöst hat: eine Putzfrauenkolonne in Hamburg in ANAM, Saisonarbeiter in einem österreichischen Skigebiet in VOLLGAS, die hessische Mittelstandsprovinz in BUNGALOW, Supermarktkassiererinnen und die freiwillige Feuerwehr in STORNO oder ein polnisches Seebad in KLASSENFAHRT. Aber stilistisch sind die Schwankungen natürlich groß, von der ungelenken Komik in „Anam“ bis zur traumwandlerischen Präzision in BUNGALOW. Mal wird das Leben in vollen Zügen genossen wie in VOLLGAS, mal ist es fern wie Fische in einem Aquarium in MUTANTEN, und oft genug fragt man sich, warum es dem deutschen Kino eigentlich so schlecht geht, obwohl die einzelnen Filme doch so gut sein können. Daß es fünf von acht Filmen überhaupt ins Kino geschafft haben, muß man schon als Achtungserfolg bezeichnen, aber Probleme lassen sich damit nicht lösen. Ist ja vielleicht auch nicht die Aufgabe von Debütanten.

Man könnte jetzt von VOLLGAS (1. August, 23 Uhr) reden, in dem Henriette Heinze, auf die man in WEGE IN DIE NACHT aufmerksam geworden ist, in einem Alpenkaff jeden Abend hinterm Tresen steht und auch nach Dienstschluß weiterfeiert, mit Alkohol und Männern bis zur totalen Erschöpfung. Frühmorgens muß sie dann hinaus in die klirrende Kälte, um ihre Tochter zum Schulbus zu bringen, aber irgendwann hält sie nicht mehr Schritt mit ihrem Programm. Die Regisseurin Sabine Derflinger stellt einen spannenden Kontrast her zwischen dem Lebensdurst der alleinerziehenden Mutter und der Tristesse hinter den Kulissen des Gastronomiebetriebs, zwischen der Solidarität der Angestellten und der anonymen Zutraulichkeit der Gäste, zwischen den hitzigen Nächten und der morgendlichen Kälte.

Man könnte von MUTANTEN (25. August, 0.10 Uhr) reden, in dem Katalin Gödrös sehr von ihrem Kameramann Sebastian Edschmid profitiert, der es versteht, den fast schon außerirdischen Blick der heranwachsenden Heldin (Karoline Teska) auf ihre Umgebung in Bildern einzufangen, die an BLUE VELVET erinnern und doch ihre eigene Sprache sprechen. Zusammen mit der einfallsreichen Tonspur schafft er es, dem tausendfach durchdeklinierten Gefühl totaler Fremdheit in der Pubertät immer wieder überraschende und berückende Perspektiven abzugewinnen. Wie der Titel schon sagt, vermutet das Mädchen überall Mutanten, die von einem rätselhaften Schlafvirus befallen sind, die Mutter, der Vater, die Nachbarn, die Mitschülerinnen, alle außer dem Jungen, der bei einem Unfall seine Eltern verloren hat und in dessen Einsamkeit sich die Heldin wiederfindet.

Man könnte von Henner Wincklers KLASSENFAHRT (18. August, 0.35 Uhr) reden, der eine deutsche Schulklasse in einem öden polnischen Seebad zeigt, zwischen Frühstückssaal, Tischtennisplatte und Zimmerbesuchen, aber vor allem die Schwierigkeiten, sich im Wechselbad der Gefühle zurechtzufinden, sich zu artikulieren und überhaupt einen eigenen Platz zu finden. Es gibt also jede Menge Leerlauf, unterdrückte Sehnsüchte und ungelenke Annäherungsversuche, und Winckler gelingt es, die Laiendarsteller ihr eigenes Tempo finden zu lassen, ihrer Ziel- und Ausdruckslosigkeit eine Wahrhaftigkeit abzugewinnen, die sich lähmend über die eigene Erinnerung legt.

Man könnte auch davon reden, was weniger gelungen ist, aber das bringt in diesem Zusammenhang wenig, weil man vor allem von Ulrich Köhlers BUNGALOW reden muß, vom Wunder, dieselben Gefühle der Entfremdung und Orientierungslosigkeit mit einer Genauigkeit zu inszenieren, die in jedem Augenblick aufregend ist. Ein junger Mann (Lennie Burmeister) entfernt sich unerlaubt von der Truppe und kehrt in den Bungalow seiner Eltern heim, die auf Urlaub in der Toskana sind. Der Junge hat kein Ziel und keine Ambitionen, er weiß einfach nicht, wohin mit sich. Selbst zum Masturbieren fehlt ihm die rechte Lust. Als sich auch sein älterer Bruder mit seiner dänischen Freundin in dem Haus einfindet, bekommen die Gefühle des Jüngeren ein Gegenüber, aber dahinter steht weniger entflammte Leidenschaft als eine gewisse Mutwilligkeit, irgendwas in Gang zu bringen. Die Zärtlichkeit, die Köhler dem Nichts gegenüber aufbringt, erinnert fast schon an Antonioni. Und letztlich müssen sich auch deutsche Filme immer an solchen Namen messen lassen.

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