30. Dezember 1994 | Süddeutsche Zeitung | Film-Tips, Rezension | Film-Tips 30.12.1994

Das Kino wird hundert. Die Menschen tanzen auf den Straßen und werfen ihre Fernseher aus dem Fenster. Die Kinos platzen aus allen Nähten, Hunderte übernachten vor den Kassenschaltern. Eintrittskarten werden zu Schwarzmarktpreisen gehandelt, und Vorführer werden bestochen, um Sondervorstellungen im Morgengrauen zu veranstalten. U-Bahn- Stationen werden in Kinos umfunktioniert, um das unruhige Volk zu besänftigen, und Filmhochschüler bekommen Millionen zur Verfügung gestellt, um die Nachfrage zu befriedigen. So wird es sein. Hundert Jahre Jubel – und kein Ende.

Burt Lancaster lebt

Die schönste Leiche des Jahres ist im Kino Breitwand in Gilching noch mal zu sehen: Der junge Burt in THE KILLERS (Freitag 23.30 Uhr und Mittwoch 21.30 Uhr) aus dem Jahr 1946, wo er in den Tod verliebt ist, wie es nur Leute sein können, die dem Leben zu nahe gekommen sind. Robert Siodmak erzählt Hemingways Geschichte, wie es so weit kommen konnte, daß einer dem Tod nicht mehr davonläuft. Die Lösung lautet: Ava Gardner. Als man Siodmak damals fragte, warum ausgerechnet ein Europäer eine so amerikanische Geschichte verfilmen muß, antwortete er: ‚Ihr kennt das Amerikanische schon so gut, daß ihr es gar nicht mehr seht. Aber ich sehe sogar noch die Coca-Cola-Schilder.‘

Ungefähr hundert Jahre später hat Bill Forsyth mit LANCASTER LOCAL HERO (Mittwoch 19.30 Uhr und Donnerstag 22.15 Uhr) gedreht. Mittlerweile war der Artist von Visconti geadelt worden, und rückblickend muß man sagen, daß es schon erstaunlich ist, mit welcher Eleganz und Würde Lancaster dem Schicksal welkender Schönheit entflohen ist.

Gene Kelly auch

Heute und morgen läuft in der Lupe um 18 und 20.15 Uhr SINGIN‘ IN THE RAIN von Stanley Donen und im Theatiner um 22.30 Uhr COVER GIRL von Charles Vidor. Beide Male ist Gene Kelly mit von der Partie, ein Mittelding zwischen Lancaster und Astaire: nicht ganz so athletisch wie der eine, nicht ganz so leichtfüßig wie der andere, aber in jedem Fall so amerikanisch wie ein Coca-Cola-Schild.

Leonard Cohen singt

Er war zwar unsichtbar, aber ist dennoch der Mann des Jahres. Leonard Cohen hat unversehens ein gewaltiges Comeback gefeiert und war gleich in drei Filmen dieses Jahr vertreten; wobei die mit seinen Songs unterlegten Szenen auch jedesmal die besten Momente der Filme waren: Beim Striptease in ATOM EGOYANS EXOTICA (Theatiner und Rottmann), beim Mord am Anfang in Oliver Stones NATURAL BORN KILLERS (Broadway und Elisenhof) und in Assi Dayans LIFE ACCORDIND TO AGFA (Breitwand).

Das Filmmuseum beginnt am Dienstag mit einer Retrospektive der Filme mit Christopher Walken, der zuletzt in PULP FICTION gezeigt hat, was ein Schauspieler mit einer Uhr und einem Monolog alles anstellen kann. Am Dienstag um 18 Uhr sein erster Auftritt bei Roberts FRANK IN MY AND MY BROTHER (1969), am Donnerstag um 21 Uhr Sidney Lumets THE ANDERSON TAPES (1971).

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