06. März 1993 | Süddeutsche Zeitung | Film-Tips, Rezension | Film-Tips 06.03.1993

Im Reich des Unsichtbaren

Wenn er schwenkt, fährt oder großaufnimmt, schrieb Godard über Richard Brooks, so sei das, als ob er den ehelichen Akt vollzöge. Ehrsam und heftig nannte er das, und das trifft die oft hölzerne Psychologie in seinen Filmen ganz gut. Besonders in DIE KATZE AUF DEM HEIßEN BELECHDACH (Samstag 10.30, ORF 1) ist es kaum zu ertragen, wie systematisch die Nerven der Südstaatenfamilie rund um Big Daddy bloßgelegt werden. Und dennoch kann man die Augen einfach nicht abwenden von dem wunderbaren Paar Paul Newman und Elizabeth Taylor, die ihr Glück fortwährend mit Füßen treten.
Newman humpelt dauernd betrunken auf Krücken durchs Bild, was seiner unverschämt blauäugigen Ausstrahlung keinen Abbruch tut. Und Elizabeth Taylor versucht ihn anzumachen, indem sie sich verzweifelt langsam aus ihren Strümpfen schält. In ihrer kurzärmeligen weißen Bluse glüht ihre Schönheit wie ein Stück Kohle. Die beiden wirken um so attraktiver, je widerlicher ihre Verwandten sich aufführen. Und Madeleine Sherwood kann als Schwägerin Mae tatsächlich für sich in Anspruch nehmen, das ekelhafteste Weibstück der Filmgeschichte zu sein. Und ihre ‚halslosen Monster‘ sind die reinste Propaganda gegen das Kinderkriegen.

Ein Jahr vorher, 1957 also. hat Brooks Dostojewskis BRÜDER KARAMASOV (Sonntag 14.50 Uhr, Kabelkanal) verfilmt. Hier spielt Lee J. Cobb den Big Daddy, und Richard Basehart und Yul Brynner sind die Söhne, die unter ihm zu leiden haben. Eigentlich wollte Brooks in Rußland drehen, aber die Produktion befürchtete, daß dann ein kommunistischer Film daraus würde. Also mußte vieles nachts und innen gedreht werden, um die Kulissen russischer aussehen zu lassen. Die Rolle der Gruschenka wollte der Produzent an Marylin Monroe geben, die Fox bestand aber auf Maria Schell. Kein Kommentar.

Im Gesicht von Jerry Lewis, schreibt wieder Godard, verbinde sich das Äußerste an Künstlichkeit mit der Noblesse des wahren Dokumentarfilms. 1953 trat er bei Norman Taurog auf als PATIENT MIT DACHSCHADEN (Samstag 13.30 Uhr, ZDF), als vermeintlich radioaktiv verseuchter Landjunge, dem eine Zeitung ein paar schöne letzte Tage in New York beschert, um die Tragödie auszuschlachten. Besonders amüsant ist die Szene, wo er drei Ärzte gegeneinander ausspielt, allen voran den Wiener Professor Dr. Egelburger. 1965 war er DAS FAMILIENJUWEL (Sonntag 8.00 Uhr, PRO 7), spielte unter eigener Regie einen Chauffeur und sechs Onkels, unter denen sich eine kleine Waise einen neuen Vater aussuchen darf. Schizophrenie war schon immer sein bevorzugtes Mittel zur Identitätsfindung. Und wo in den Fünfzigern noch Dean Martin sein Alter Ego war, spielte er es später selbst: Mr. Jerry und Dr. Lewis.

Im Kino steckt immer eines im anderen, das Unsichtbare im Sichtbaren, die Kindheit im Alter, das Mögliche im Wirklichen. In Panny Marshalls BIG (Samstag 20.15 Uhr, PRO 7) verwandelt sich Tom Hanks geistig in ein Kind zurück, während er körperlich der Alte bleibt. So macht er in einer Spielzeugfirma Karriere, weil er weiß, was Kinder mögen. In der Liebe macht er mit Elizabeth Perkins allerdings Erfahrungen, die seinen kindlichen Horizont übersteigen.

Dem ganz und gar Unmöglichen, schreibt Anke Sterneborg über Norman McLeods ZWEI ENGEL OHNE FLÜGEL (Sonntag 13.40 Uhr, ORF 1), setzt das Kino die Evidenz des Augenscheins entgegen. Im Reich des Unmöglichen und Unsichtbaren sind die Kerbys das Traumpaar. Nach einem Auto-Unfall geistern Cary Grant und Constance Bennett unsichtbar durch die Welt und machen sich einen Spaß daraus, dem ordnungsfanatischen Bankier Topper (Roland Young) unter die Arme zu greifen, als er einmal 44 Sekunden hinter seinem Zeitplan zurückliegt und sein Leben droht, in die Brüche zu gehen. Eine ziemlich transparente Geschichte ist dem Autor Thorne Smith da gelungen. Transparenz ist auch das Thema bei Jacques Rivettes DIE SCHÖNE QUERULANTIN (Samstag 22.15 Uhr, Bayerisches Fernsehen und West 3): Wie man das, was man sieht, durchsichtig macht, für das, was dahinter liegt. Wobei die Nacktheit seines Models (Emmanuelle Béart) für den Maler Frenhofer (Michel Piccoli) ihr Geheimnis eher zu verhüllen scheint. Und je länger er an seinem Bild malt, desto deutlicher wird darin sichtbar, warum er es mit seiner Lebensgefährtin (Jane Birkin) nie vollenden konnte. Gene Hackman hat mal in einem Film von Arthur Penn gesagt, ein Film von Rohmer sei etwa so spannend, als sehe man der Farbe an der Wand beim Trocknen zu. Bei Rivette kann man sehen, daß es nichts Spannenderes gibt.

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