31. Juli 2003 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Porträt | Jean-Luc Godard

Wer mag das, außer Andy Warhol und mir?

Ein Spielfilm dauert neunzig Minuten: Jean-Luc Godard redet über Sport und Kino

Es stimmt schon, manchmal kann Godard selbst aufgeschlossene Verehrer fast wahnsinnig machen mit seinem steten Hang zur Orakelhaftigkeit. Andererseits ist seine mangelnde Verhandlungsbereitschaft gegenüber dem Mainstream natürlich auch bewundernswert. Wenn er geehrt werden soll, schiebt er meistens irgendeine Krankheit vor – vermutlich hat er nur deswegen noch keinen Oscar für sein Lebenswerk bekommen -, und wenn man am wenigsten mit ihm rechnet, steht er dann doch zur Verfügung. Drei seiner raren Interviews aus den letzten Jahren hat der Schweizer Verlag Gachnang & Springer nun unter dem Titel „Das Gesagte kommt vom Gesehenen“ veröffentlicht, zwei Gespräche mit den Hausblatt Cahiers du Cinema und eines mit der Sportzeitung „L’Equipe“. Über letzteres mag sich nur wundern, wer mit dem Mann nicht vertraut ist.

Seine intellektuelle Widerborstigkeit mag ihn zwar zum Stubenhocker prädestinieren, aber in Wahrheit ist Godard sportlicher, als man vermuten würde. In einer Sendung des Magazins „Cinéma cinémas“ aus den späten Sechzigern konnte man zum Beispiel erleben, wie ihn der Interviewer auf eine Aussage seiner ehemaligen Frau Anna Karina anspricht, Godard sei durchaus ein athletischer Typ. Auf die Ungläubigkeit der Frage reagiert Godard, indem er aufsteht, sein Jackett ablegt, die Ärmel hochkrempelt, in den Handstand geht und auf Händen durchs Studio läuft, als sei das das mindeste, was man von einem Intellektuellen seines Kalibers erwarten könne. Mittlerweile ist der Mann dreiundsiebzig und wahrscheinlich nicht mehr ganz so behende, aber sein Interesse für den Sport hat er sich bewahrt. Er spricht also über seine Begeisterung für Tennis, für Leichtathletik, Fußball und Radsport, und wie bei allen Sportfans leuchten die Sterne seiner Jugend am hellsten. Noch immer kann er sich für McEnroe, Courier und Miroslaw Mecir begeistern und von Honved Budapest schwärmen, für Hidegkuti und vor allem Puskas, den er mal in einem Dokumentarfilm erlebt hat, wie er einkaufen ging und die ganze Zeit einen Ball in der Luft gehalten hat. Aber natürlich hat er etwas eigensinnige Vorstellungen, was die Vermittlung des Sports im Fernsehen angeht.

Man kann durchaus verstehen, daß ihn aufregt, wie wenig Zeit sich das Fernsehen für den einzelnen Sportler nimmt. Früher habe man zusehen können, wie sich Hochspringer auf ihren Sprung vorbereiten, „fünfzehn, zwanzig Sekunden mit einem schlenkernden Arm, einem geneigten Kopf“, heute sähe man nur noch den Sprung selbst. Also plädiert er dafür, Fünfzehn-Stunden-Filme zu drehen, „nicht nur den Sieger und das Spiel filmen, sondern auch den Abend davor und den danach, die Freundin, die Familie. Aber weg mag das, außer Andy Warhol und mir?“ Die einzige Sportart, die sich dem entzieht, sei – wie man gerade wieder täglich erleben kann – der Radsport, die Tour de France, „wo man gezwungen ist, auf die Dauer einzugehen“.

Im übrigen meint er, Filme seien wie Fußball: „Niemand scheut sich, seine Meinung kundzutun. Das einzige, worüber jeder reden kann, ohne daß es peinlich wäre.“ Wie Godard überhaupt nicht viel von dem hält, was über das Kino geschrieben wird. Er ziehe manche Artikel über ein Tennismatch aus L’Equipe gewissen Filmkritiken vor, weil die wenigstens das Match nacherzählen, wohingegen Filmkritiker nur das schrieben, „was sie möchten, daß man von dem Film denkt“. Was natürlich Unsinn ist, nicht wegen der Filmkritiker, sondern wegen der Sportreporter, die sich längst nicht mehr mit der Nacherzählung begnügen, sondern ihre Interpretation liefern – was manchmal durchaus zu begrüßen ist.

Fast rührend ist Godard, wenn er beklagt, daß beim Schreiben über Film nur noch die Leistung von Schauspielern bejubelt, aber nicht der Ton beurteilt werde. Man ahnt dabei durchaus, wovon er redet, und ist auch dankbar für diese Art von Weltfremdheit – und erinnert sich an die wunderbar vielschichtigen und klaren Tonkulissen von Luc Yersin für seine Filme, aber fragt sich, wohin das führen soll. Andererseits hat er natürlich recht, wenn er einklagt, daß die meisten noch nicht einmal in der Lage sind, richtig hinzusehen oder -hören, und doch eine Meinung formulieren. Wie beim Fußball eben.

Was die ihm zugeschriebene Losung, zum Filmemachen brauche man nur „a girl and a gun“, angeht, meint er, sie sei erstens von Griffith, zweitens könne man genausogut sagen, man brauche nur zwei Leute und ein Auto, und drittens könne man an Lelouchs EIN MANN UND EINE FRAU sehen, daß daraus nicht notwendigerweise ein guter Film entsteht – im Unterschied zu Rossellinis VIAGGIO IN ITALIA.

Wie Godard das Kino und seine Versprechen stets beim Wort nimmt, wie er immer wieder seine Kurzschlüsse daraus zieht, macht schmerzlich bewußt, wie weit das Reden und Denken über Kino schon mal entwickelt war. Drei Interviews mit ihm sind immer Reisen in einen untergegangenen Kontinent, in ein fast vergessenes Land. Und am ergreifendsten ist es, wie er die Nouvelle Vague erklärt: „Wir haben eine Welt entdeckt, von der uns niemand erzählt hatte. Man hatte uns nicht von Hitchcock oder Jacques Becker erzählt, sondern von Chateaubriand oder Flaubert. Diese andere Welt war verhältnismäßig geheim. Es war ein einzigartiger Moment, wobei ich mit einzigartig nicht überlegen meine: es war ein unvergleichlicher Moment. Kino nannten wir die Filme, die wir nicht sehen konnten. Kino war das Unsichtbare.“ Und wenn er so redet, dann hat man fast schon wieder den Eindruck, es wäre an der Zeit, von diesem verhältnismäßig geheimen Regisseur Godard zu erzählen. Vielleicht müßte man es so tun, wie man von einem Fußballspiel, einem Tennismatch oder einer Touretappe erzählt – so, daß sich jeder, der das versäumt hat, richtig ärgert.

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