Der Herr am dunklen Fenster
Der Film- und Fernsehregisseur Franz Peter Wirth ist gestorben
Wer ihn beim Interview erlebt hat, konnte spüren, dass Franz Peter Wirth im Grunde mit jenen Jahren, da er das Fernsehen neu erfunden hat, schon seit längerem abgeschlossen hatte. Die Zeiten hatten sich geändert, und wenn Wirth das bedauerte, dann ließ er es sich zumindest nicht anmerken. Vielleicht hatte er all die Träume und Hoffnungen, die sich einst mit dem neuen Medium verbanden, auch irgendwo in sich begraben unter all den Sachen und Serien, die der Profi später dann machen musste.
Damals in den Fünfzigern hatte Wirth jedenfalls als sogenannter Oberspielleiter mit Hans Gottschalk, Rainer Wolffhardt und Helmut Jedele beim Süddeutschen Rundfunk jenen „Stuttgarter Stil” geprägt, der bis in die Sechziger im Fernsehspiel vorherrschte. Im Wesentlichen war das eine Fortsetzung des Theaters mit anderen Mitteln. Und man spielte auch dessen Stoffe: die Klassiker sowieso, aber auch die Moderne: Kipphardt, Camus, Williams. Weil es noch kein elektronisches Aufzeichnungsverfahren gab, musste alles live produziert werden. Das hieß, drei Wochen kalte Proben ohne Kamera, zwei Wochen mit – dann musste alles sitzen. Keine Wiederholungen, keine Korrekturen, wie im Theater.
Das führte dazu, dass man nähere Einstellungen bevorzugte und das Drama auf den Gesichtern der Schauspieler suchte. Das Bühnenbild wurde aufs Nötigste reduziert, und die Filme kamen geradezu abstrakt daher. All das geschah auf Kosten der physischen Realität der Geschichten und passte insofern zum Bild, das die deutsche Gesellschaft in jenen Jahren von sich entwarf: Der Körper blieb ausgeblendet, der Krieg war ein fernes moralisches Exempel. Wenn man diese Aufzeichnungen heute sieht, hat die Reduktion durchaus ihren eigenen Reiz.
Wirth war damals ganz oben und überall der erste: Über 150 Fernsehfilme, darunter viele Literaturverfilmungen („Buddenbrooks”, „Wallenstein”), die mit allem ausgezeichnet wurden, was es zu gewinnen gab: Grimme-Preise (für „Ein Stück Himmel”), Bambi, Bayerischer Fernsehpreis, das ganze Programm. Dabei wird leicht vergessen, dass er auch im Film gearbeitet hat: Karl-Michael Vogler wurde mit „Bekenntnisse eines möblierten Herren” bekannt, und „Die Frau am dunklen Fenster” mit Marianne Koch und Robert Graf gehört zu den faszinierenderen Beispielen deutscher Filmkunst vor Oberhausen.
Aber all das war für den alten Münchner weit weg, als er über jene Zeit sprach. Nur einmal wurde er ganz nostalgisch und schilderte, wie man einst noch im Auto sitzen blieb, um Hörspiele zu Ende zu hören. Da legte er zur Veranschaulichung die Hand ans Ohr und sah für einen Moment ganz milde aus. Gestern ist Wirth im Alter von 80 Jahren in Berg am Starnberger See gestorben.
Reaktionen:
Leserbrief zu "Der Herr am dunklen Fenster" / SZ vom 19. Oktober Es ist dankenswert, dass der hochverdiente Regisseur Franz Peter Wirth durch einen ausführlichen Nachruf gewürdigt wird. So etwas passiert nicht eben häufig in unserer Medienwelt, in der nur der zur Kenntnis genommen wird, der mit dem eigenen Gesicht in die Kamera blickt. Leider sind Michael Althen ein paar sachliche Fehler unterlaufen: Beim Fernsehspiel des Süddeutschen Rundfunks, dem ich von 1955 bis 1961 angehörte, wurden keine Live-Fernsehspiele nach Texten von Albert Camus oder Tennessee Williams gesendet. Kipphardts Joel Brand wurde erst 1964 bei der Bavaria unter Wirths Regie als Film produziert und bekam den Adolf-Grimme-Preis. HELMUT PIGGE, Süddeutsche Zeitung, 05. 11. 1999