25. Januar 2010 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Nachruf | Jean Simmons

Engelsgesicht

Zum Tode von Jean Simmons

Kein Mädchen aus Cricklewood, sagte Jean Simmons einmal über ihre Jugend im Norden Londons, würde je zugeben, von dort zu kommen. Aber natürlich können Märchen nur an solchen Orten beginnen. Mit vierzehn wurde sie im Tanzkurs entdeckt, und als sie neunzehn war, hatte Jean Simmons bereits in drei englischen Nachkriegsklassikern gespielt: als verwöhnte Estella in David Leans GREAT EXPECTATIONS, als Waisenkind in Powell und Pressburgers BLACK NARCISSUS und als Ophelia in Laurence Oliviers HAMLET.

Amerikas bekanntester Kritiker James Agee schrieb damals, sie sei die einzige Schauspielerin im Film, die „jeder Zeile poetische Blüte und alltägliche Unmittelbarkeit verleiht“ – und prompt wurde sie für den Oscar nominiert. Als Hollywood-Mogul Howard Hughes sie deshalb aus ihrem Vertrag mit der Rank Organization herauskaufte, um sie seiner persönlichen Sammlung hinzuzufügen, musste er allerdings feststellen, dass Jean Simmons mittlerweile mit dem sechzehn Jahre älteren Stewart Granger verheiratet war und keine Lust hatte, ihre Ehe aufs Spiel zu setzen. Hughes rächte sich auf seine Weise, indem er sich weigerte, Jean Simmons an William Wyler für „Ein Herz und eine Krone“ auszuleihen. Jean Simmons soll später Audrey Hepburn angerufen und gesagt haben: „Ich wollte dich eigentlich hassen. Aber ich muss zugeben, dass ich nicht halb so gut gewesen wäre.“

Tatsächlich wurde ihr Talent damals nie in dem Maße gefordert. Man nannte sie die englische Rose und ließ sie vor allem an der Seite starker Männer blühen: mit Marlon Brando in DESIRÉE, mit Kirk Douglas in SPARTACUS, mit Richard Burton in DAS GEWAND, mit Spencer Tracy in THE ACTRESS. Stets bildschön, ganz poetische Blüte, aber selten jene alltägliche Unmittelbarkeit wie in GUYS AND DOLLS, wenn sie „If I Were a Bell“ singt. Ihre aufregendste Rolle war dann doch eine, zu der Hughes sie gezwungen hatte: als Femme fatale in Otto Premingers ANGEL FACE, die Robert Mitchum mit einer solchen Mitleidlosigkeit ins Verderben reißt, dass einem vor ihrem Engelsgesicht angst und bange werden konnte. 1960 lernte sie bei den Dreharbeiten zu ELMER GANTRY, wo sie eine Evangelistin spielt, die auf Burt Lancaster reinfällt, den siebzehn Jahre älteren Regisseur Richard Brooks kennen, der ihr zweiter Mann wurde. Mit ihm drehte sie 1969 THE HAPPY ENDING, das lebensnahe Porträt einer frustrierten Hausfrau zwischen Pillen und Alkohol, die aus ihrer Ehe ausbricht; dafür erhielt sie ihre zweite Oscar-Nominierung. Am Freitag ist Jean Simmons im Alter von achtzig Jahren in Santa Monica gestorben.

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