22. August 2000 | Süddeutsche Zeitung | Nachruf | Bubi Scholz

Fausthiebe und Schicksalsschläge

Einmal war er fast ein König, doch außerhalb des Boxrings hat es Bubi Scholz nicht zum Champion gebracht

Manchmal scheint es im Rückblick so, als sei ein ganzes Leben auf ein einziges schwarzes Loch zugelaufen. Als seien all die kleinen und größeren Siege bis dahin nur eine Laune des Schicksals, um dann umso härter zurückschlagen zu können. Da steht dann einer vor seiner Toilettentür, fuchtelt mit seinem Jagdgewehr herum, ist so betrunken, dass er nicht mehr weiß, was er tut, feuert auf die verschlossene Türe und trifft dabei seine Frau – tödlich. Ein dumpfer Schlag an die Tür des Schicksals war das – und dahinter gähnte ein Abgrund, aus dem nur noch das Vergessen und der Tod herausführen konnten.

96 Kämpfe, 87 Siege

Das ist der Stoff, aus dem die Alpträume (oder heutzutage Fernseh-Zweiteiler) sind. Und natürlich brauchte es für die Rolle des traurigen Helden einen Typen wie Bubi Scholz, einen zähen Kämpfer, der sich aus dem Arbeiterviertel am Prenzlauer Berg hochgeboxt hat, einen strahlenden Sieger, der in 96 Kämpfen 46 Mal durch k.o. und 41mal nach Punkten gewonnen hat, einen Charakter wie ihn, der vom Rampenlicht so betrunken wurde, dass er davon nicht mehr loskam. Er war ein Tanzbär, der sich als Salonlöwe aufspielte, und die Villa im Grunewald war nur ein weiterer Beweis, dass er sich in Sphären bewegte, wo er nicht wirklich hingehörte. Aber das sind vielleicht Geschichten, die im Moment des Todes verblassen sollten hinter den Erfolgen. Weil sie dem Talent des Mannes nicht gerecht werden und all dem, was es dem Publikum an aufregenden Momenten beschert hat. Aber so ist die Öffentlichkeit: Wen sie einmal an die Brust gedrückt hat, den will sie ganz.

Gustav Scholz also, am 12. April 1930 geboren, der Vater Schmied und Schallplattenpresser; zuerst eine Feinmechanikerlehre, nach dem Krieg eine als Koch. Mit 16 ein paar Boxhandschuhe in die Hand bekommen, mit 18 den ersten Profikampf – der Gegner musste hinterher seine Hochzeit verschieben. So ging es weiter: 1951 Deutscher Meister im Weltergewicht, 1954 ungeschlagen durch die USA, 1958 Europameister gegen Charles Humez – obwohl er zuvor zwei Jahre wegen einer schweren Tuberkulose pausieren musste.

Das war die Zeit, in der er sich mit seinen Fäusten aus jedem Loch wieder herausboxen konnte. Immer wieder musste Bubi Scholz seine Titel wegen Gewichtsschwierigkeiten abgeben, rutschte vom Weltergewicht ins Mittelgewicht und von dort ins Halbschwergewicht. Und er schaffte es jedesmal wieder, seine Karriere erfolgreich fortzusetzen. 1962 hatte er als dritter Deutscher die Chance, Weltmeister zu werden, verlor aber vor 60 000 Leuten im Berliner Olympiastadion in 15 Runden knapp nach Punkten gegen den Schwarzen Harold Johnson. 1964 wurde er nochmal Europameister gegen den Italiener Rinaldi, gab den Titel aber kampflos wieder ab und beendete ein Jahr darauf seine Karriere. Und um einschätzen zu können, was für ein Kaliber Scholz war, muss man sich nur vor Augen halten, dass dies die Zeit war, als ein Titel noch etwas wert war, und Boxen mehr als nur eine Show.

Dabei hatte Bubi Scholz durchaus jenes Charisma, das einen Boxer auch über den Ring hinaus tragen kann. Und er war der richtige Mann zur richtigen Zeit: Im Wirtschaftswunder suchte das Land nach Leuten, an denen es sein neues Selbstbewusstsein festmachen konnte. Und da war einer, der mit seinen strahlend blauen Augen und entsprechender Schnauze die Leute vor den Radios versammelte und es der Welt zeigte. Von seinem Elan und der Welle der Sympathie getragen, brachte er es sogar zu Auftritten beim Film und als Schlagersänger. Er kaufte zwei Kosmetikgeschäfte, betätigte sich als Manager und war Geschäftsführer einer Werbeagentur. Und fast konnte man meinen, er habe den Übergang vom Sport in den Alltag geschafft. Als sei er auch im wirklichen Leben der kühle, intelligente Taktiker, der er zwischen den Seilen war.

Aber es blieb jene Äußerung Max Schmelings nach dem verlorenen WM-Kampf gegen Johnson: „König bist du nicht geworden, aber du hast das Schloss gesehen. ” So etwas kann auch eine Hypothek sein, denn was helfen all die Siege, wenn man den einen Kampf verliert? Und es kommt die Zeit, wo die Kämpfe mit den Fäusten allein nicht mehr zu gewinnen sind. Und wo man das, was man war, nur noch aufrechterhalten kann, indem man dem Bild entspricht, das sich die anderen von einem machen. Oder indem man sich das Leben schönsäuft und die Niederlagen, die Zweifel und das Alter einfach ertränkt. Und dann sieht es plötzlich so aus, als sei alles nur noch ein einziger Strudel auf ein schwarzes Loch zu, ein Einschussloch in einer Toilettentüre. Zu seinem 50. Geburtstag erschien seine Autobiographie mit dem Titel Der Weg aus dem Nichts – er wurde ein Weg ins Nichts.

Drei Jahre saß er in der Haftanstalt Tegel, und als er Ende 1987 freikam, warteten fünf TV-Teams, zwei Ü-Wagen und 15 Fotografen. Die Gespenster ist er nicht losgeworden. Alkoholprobleme, Selbstmordversuch, Schlaganfall, Herzinfarkt, Alzheimer, Demenz. Der Premiere der Bubi-Scholz-Story, in der er von Benno Fürmann und Götz George gespielt wurde, konnte er schon nicht mehr beiwohnen. So hat er langsam alles vergessen, die Titel, die Kämpfe, die Schläge – und am Ende auch, dass er einmal fast König geworden wäre.

Am Montag ist Gustav Scholz im Alter von 70 Jahren in einem Berliner Pflegeheim gestorben.

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