04. Mai 1999 | Süddeutsche Zeitung | Nachruf | Oliver Reed

In vollen Zügen

Schauspieler Oliver Reed im Alter von 61 Jahren gestorben

Er war so voluminös wie die Romane, denen er entsprungen zu sein schien und in deren Verfilmungen er deshalb auch gerne bestezt wurde: bärbeißig, gefräßig, überbordend in jeder Hinsicht. Wie in seinen Rollen als Bettler Sikes in OLIVER! oder als Athos in den MUSKELTIEREN. Ein Typ, der seinen Bierkrug in einem Zug leeren konnte und sich um Essensreste im Bart nicht weiter scherte. Eine jener Figuren, wie sie nur im Bauch der großen Städte entstehen konnten, als es noch Markthallen, Hafenanlagen und Gaslaternen gab. Oliver Reed hatte einen schlechten Start ins Leben erwischt und genoß das Leben, als es das Schicksal besser mit ihm meinte, in vollen Zügen. In seiner Welt nahm man so etwas wörtlich.

In einer Zeit, wo sich kein Schauspieler, der etwas auf sich hält, mehr ohne Agent und Anwalt an die Öffentlichkeit wagt, war Reed ein Anachronismus. 1973 zog er sich in einem Hotel in Madrid während des Essens aus und sprang in ein großes Becken mit Goldfischen. 1985 erregte er wegen seiner Heirat mit der 21 Jahre alten Josephine Burge Aufsehen, mit der er seit deren 16. Lebensjahr eine Beziehung hatte. 1991 beleidigte er in einer Talkshow seine Mitstreiter, versuchte, die amerikanische Feministin Kate Millet zu küssen, und weigerte sich danach, das Studio zu verlassen. Und seine Piratenrolle in CUTTHROAT ISLAND habe er verloren, weil er ihr sein bestes Teil gezeigt hatte, auf das er Adlerkrallen tätowiert hatte. Die Times faßte in englischer Manier zusammen, Reed sei möglicherweise „kein gutes Vorbild für jene, die ein Leben von unauffälliger Diskretion anstreben. ” Er selbst nahm das alles gelassen. Auf die Frage, ob er etwas bereue, meinte Reed: „Daß ich nicht jedes Pub leer getrunken und mit jeder Frau geschlafen habe. ”

1938 in London geboren, Scheidungskind, 13 Schulen besucht, mit 17 davongerannt, Rausschmeißer in Nachtclubs, Taxifahrer, Boxer. Sein Onkel, der Regisseur Carol Reed, förderte ihn und brachte ihn beim Fernsehen und in Komparsenrollen unter. Er spielte Gladiatoren, Piraten, Werwölfe, alles. Mit dem Musical OLIVER! wurde er berühmt, mit einem Nacktauftritt in Ken Russells LIEBENDE FRAUEN berüchtigt – das war 1969. Wenn man seine Filmographie durchgeht – immerhin 100 Filme –, hat man nicht den Eindruck, daß er jemals eine Rolle abgelehnt hätte, weil sie seinen Ansprüchen nicht genügte. Er nahm die Rollen, wie sie kamen, und gab ihnen, was er hatte – physische Präsenz und jenes Blitzen in den Augenwinkeln, bei dem man nie wußte, ob es einen Ausbruch von Zorn oder von guter Laune ankündigte. Und wenn er Glück hatte, waren Rollen dabei wie die des Zivilisationsmüden, der in Nicolas Roegs CASTAWAY – GEFANGENE DER INSEL ein Jahr mit einer Frau, die sich auf seine Annonce gemeldet hat, auf einer Südsee-Insel verbringt. Bei solchen direkten Konfrontationen mit Mensch und Natur war er in seinem Element.

Am Sonntag ist Oliver Reed im Alter von 61 Jahren in einer Bar in La Valletta auf Malta gestorben. Er war zusammengebrochen und sofort tot. Auch das erinnert an Geschichten, in denen der Tod Männer noch wie Bäume fällte.

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