In nächster Nähe, so fern
Dominik Moll über deutsche Herkunft und französischen Film
Dominik Molls Mutter ist Französin, sein Vater Deutscher. Er ist in Baden-Baden aufs Gymnasium gegangen, hat in Heidelberg Englisch studiert, war dann ein Jahr in Paris an der Uni, hat zwei Jahre in New York gelebt und zwei Kurzfilme gedreht und hat sich dann vor der Rückkehr bei den Filmhochschulen in München und Paris beworben – und auf der Pariser IDHEC hat es geklappt. Das war vor 16 Jahren. Jetzt hat der 38-jährige Moll den Film HARRY, UN AMI QUI VOIUS VEUT DU BIEN gedreht, der in Cannes im Wettbewerb lief und für den sein Hauptdarsteller Sergi Lopez einen Europäischen Filmpreis bekam.
SZ: Begreifen Sie sich als französischen Filmemacher?
Moll: Ja. Wenn ich 1984 in München gelandet wäre, würde ich mich wahrscheinlich als deutscher Filmemacher verstehen. Aber es ist anders gekommen.
SZ: Wann haben Sie zuletzt einen deutschen Film gesehen?
Moll: Letzte Woche: Schlöndorffs STILLE NACH DEM SCHUSS. Aber das Interesse in Paris war nicht sehr groß.
SZ: Und Ihr Interesse?
Moll: Das deutsche Kino ist mir fern, aber das Interesse ist trotzdem da. Das Problem ist halt, dass wenige deutsche Filme nach Frankreich kommen. Und bei dem großen Angebot sehe ich mir dann doch lieber erstmal die Filme an, die in Frankreich gedreht werden. Insofern bin ich nicht mehr auf dem Laufenden, was das deutsche Kino angeht.
SZ: Gibt es da keinen wie auch immer gearteten sentimentalen Kontakt?
Moll: Jedenfalls nicht zum aktuellen Kino. Fassbinder, Wenders, Schroeter habe ich natürlich gesehen, aber hauptsächlich in New York. In meinem ersten Jahr in Paris habe ich eher amerikanische Filme gesehen, und in New York dann mehr deutsche und französische Filme.
SZ: Würden Sie HARRY als durch und durch französischen Film bezeichnen?
Moll: Als der Film in Frankreich herauskam, haben zumindest viele gesagt, das würde nicht aussehen wie ein französischer Film, und das hat vielleicht damit zu tun, dass ich nicht in dieser französischen literarischen Kultur aufgewachsen bin, sondern eine gewisse Distanz dazu habe.
SZ: Warum gibt es in Frankreich so viel mehr Talente als bei uns?
Moll: Ganz einfach, weil die Filmindustrie viel mehr vom Staat unterstützt wird. Da gibt es dieses ziemlich clevere System, wo bei jeder Eintrittskarte Steuer abzwackt wird, die dann wieder verteilt wird. Und weil auf einer staatlichen Ebene das Kino als Teil des Kulturguts angesehen wird. 160 Filme pro Jahr sind schon wahnsinnig viel – das gibt mehr Leuten die Möglichkeit, Sachen auszuprobieren.
SZ: Was war der Auslöser für HARRY?
Moll: Die erste Szene: die Fahrt in die Ferien, die immer leicht zum Albtraum wird, die Kinder, die schreien. Und die Idee der Konfrontation von einem, der im Alltag erstickt, und einem anderen, der eine Phantasievorstellung von Freiheit lebt. Aber anfangs wusste ich noch nicht, dass HARRY zu so radikalen Mitteln greifen würde, um Michel zu seinem Glück zu verhelfen. Mein Co-Autor nahm mir dann die Angst vor extremen Lösungen.
SZ: War Sergi Lopez Ihre erste Wahl?
Moll: Ich hatte keine erste Wahl, habe nur Listen erstellt mit Schauspielern, die in Frage kommen könnten. Ich hatte bei Sergi eigentlich gezögert, wegen seines ausländischen Akzents, der mir anfangs ausgerechnet für die Figur des Eindringlings zu übertrieben und zu falschen Interpretationen zu verleiten schien. Aber in Nachhinein wurde durch Sergis Offenheit und Ausstrahlung der Akzent ganz nebensächlich. Da kann wirklich niemand auf die falsche Idee kommen, es gehe hier um Fremdenfeindlichkeit.