08. Dezember 1999 | Süddeutsche Zeitung | Essay | Starkult im Kino

Manche mögen's heiß

Götter und Gräber

Marilyn liebt dich: Vielleicht sind Stars Menschen wie du und ich, aber keinesfalls sind sie aus Fleisch und Blut wie wir

Licht aus, Spot an! Anders geht es nicht. Schließlich ist das eine Sache des Glaubens und nicht der kalten Vernunft. Natürlich kann man an Zahlen, Daten, Fakten festmachen, was ein Star ist – aber was bringt das schon?

Es geht vor allem um Eines: die Bilder zum Fliegen zu bringen, der verrückten Lust nachzugeben, sich vom Funkeln blenden zu lassen. Zuzusehen, wie Marilyn im verflixten siebten Jahr auf dem Lüftungsschacht der Rock hochfliegt und ihr Gesicht alles ausdrückt, bloß nicht jene Unschuld, die wir ihr so gerne zuschreiben. Wie Bogart neben dem Malteserfalken an der Zigarette zieht und dabei die Augen zusammenkneift, als sei er nicht sicher, ob die Schauspielerei wirklich eine Sache für harte Männer ist. Wie Rita Hayworth in „Gilda“ sich aus dem Handschuh schält und dabei für einen Moment vergisst, dass sie mit den Männern, die sie damit verführt, eigentlich gar nichts anfangen kann. Wie Charlie Chaplin versonnen an der Rose in seinem Knopfloch schnuppert und sein Blick in die Kamera verrät, dass er nichts tut, ohne sich seiner Wirkung zu vergewissern. Man sieht daran schon, wie schwierig es ist, an Stars zu denken, ohne Hintergedanken zu haben.

Und doch lässt man sich gerne blenden. So wie die Mädchen, die scharenweise aus Kansas oder sonstwo vor die Tore Hollywoods gepilgert sind, in der Hoffnung, irgendein Vorbeifahrender werde erkennen, was sie selbst schon immer gewusst haben: dass sie zum Star geboren sind. Und was haben sie sich davon versprochen, welchen Träumen sind sie hinterher gehangen? Immer dem einen, ganz und gar unsinnigen und doch völlig verständlichen Programm: Ich will doch nur, dass ihr mich liebt!

Star! Man muss nur für einen Moment vergessen, wie abgelutscht das Wort ist, und seinem Klang nachschmecken, dann sieht man es schon funkeln. Das Studio MGM hat einst mit dem Spruch geworben: More stars than there are in heaven. Mehr Sterne, als es im Himmel gibt. Und sie funkeln immer noch, möchte man hinzufügen, obwohl ihr Licht längst erloschen ist. Und wieder fliegen Bilder vorbei: das sorgenvolle Stirnrunzeln der toten Monroe, das Wrack von James Deans Porsche, der Eingang des Viper Room, vor dem River Phoenix tot zusammengebrochen ist, unterlegt mit den panischen Hilfeschreien seiner Freunde auf dem Tonband des medizinischen Notrufs.

Fast ist man versucht, doch zuzugeben, dass das Wort seinen Glanz verloren hat und dass es ohne diesen schwarzen Trauerrand der Tragödie nicht mehr denkbar ist. Denn Star bedeutet nicht nur Sehnsucht, Bewunderung, Träumerei, sondern auch Häme, Schadenfreude, Blutdurst. Man will die Sterne verglühen sehen, weil es nichts Tröstlicheres gibt, als zu sehen, dass man sich mit keinem Ruhm und Geld der Welt aus dem Vertrag freikaufen kann, den man mit dem Teufel geschlossen hat. Sie mögen unsterblich sein, aber am Ende sind sie auch nur Menschen. Oder, wie es Ödön von Horváth ausgedrückt hat: „Sie waren geil auf Katastrophen, von denen sie kein Kind bekommen konnten. Sie lagen mit dem Unglück anderer Leute im Bett und befriedigten sich mit einem künstlichen Mitleid.“

Aber da geht es schon um jene Art von Ruhm, die nur aus Unglück entsteht, um jene Täter und Opfer, die man als Stars bezeichnen muss, obwohl ihre Verdienste eher zweifelhaft sind. Das ist wohl ein anderes Kapitel, aber es zeigt, dass der Hunger nach Stars so groß ist, dass nicht nur jene ins Rampenlicht geraten, die Sehnsüchte auf sich vereinen, sondern auch jene, in denen sich Albträume bündeln.

Was immer der Star einst gewesen sein mag, er war von Anfang an immer auch ein Produkt des Kapitalismus, in dem genaue Berechnung und schwammige Sehnsüchte aufeinander treffen. Dass es dabei um Träume geht, erleichtert nur die Ausbeutung, weil man die Leute an ihrem schwächsten Punkt trifft. Das Kino ist schließlich eine Erfindung der Großstädte, die den dort versammelten arbeitenden Massen die Zerstreuung erleichtern sollte. Unschuldig ist es nie gewesen, weil die Erfinder von Anfang an die Eroberung des Weltmarktes vor Augen hatten. Auch die Erfindung des Stars war nur ein geschickter Schachzug von Geschäftsleuten.

Am 12. März 1910 erschien in The Moving Picture World eine Anzeige, in der die Produktionsgesellschaft IMP darauf hinwies, dass die – nach dem Namen ihrer Produktionsfirma – als Biograph Girl bekannte Darstellerin Florence Lawrence nicht, wie fälschlich gemeldet, verunglückt sei, sondern wohlauf, und man sich auf ihre nächsten Auftritte in Filmen der IMP schon freue.

Zum ersten Mal wurde ein Name genannt und jemand aus der anonymen Masse der Darsteller heraus gehoben: Florence Lawrence. Man kann davon ausgehen, dass die Todesmeldung von derselben IMP nur lanciert worden war – der Rest ist Geschichte. Ein falscher Tod, falsche Trauer, falsche Gefühle – aber das richtige Konzept. Die Leute mögen so etwas, sie brauchen es sogar. Gott war tot, andere Götter auch rar – so schuf der Markt seine eigenen Götter, die Angebot und Nachfrage unterworfen waren. Sehr praktisch. Die Studios regelten alles selbst: setzten auf Gesichter, halfen der Natur notfalls nach, erfanden Namen, erstellten Biografien, beantworteten Fanpost – und wenn einer schwul war, arrangierten sie eine Heirat. Es war denkbar einfach, aber es funktionierte – und auch heute noch fallen alle darauf rein, obwohl Stars auch nicht mehr das sind, was sie mal waren.

Früher unterschied man noch zwischen Stars und Sternchen – heute ist gleich ein Superstar, wer keine Eintagsfliege ist. Im Zuge dieser Entwicklung konnten auch Models zu Stars werden. Unter den Gesichtspunkten des Marktes eine geradezu ideale Lösung, denn sie sehen aus wie Stars, sind aber keine. Und man muss ihre Arbeit nicht erst bewerben, denn die Werbung selbst ist ihr Arbeitsbereich. Natürlich müssen sie auch das gewisse Etwas besitzen, aber das ist eher ein statistisches Problem. Unter tausend Gesichtern ist immer eines, das mehr Blicke auf sich zieht als die anderen.

So entstanden das Supermodel und – um die Distanz zu wahren – der Megastar. Und die Legende, der Mythos, der Kult. Wenn Andy Warhol behauptet hat, heutzutage könne jeder für 15 Minuten ein Star sein, so kann man inzwischen sagen: Das reicht nicht. Als Star ist man heute im Rampenlicht und morgen vergessen. Man muss schon ein Gott sein, um als Star eine höhere Halbwertszeit zu haben.

Man merkt bald, dass es mittlerweile nicht mehr sonderlich sinnvoll ist, den Begriff Star einzugrenzen. Man muss ihn so schwammig nehmen, wie er nun einmal ist. Muss sich in den Kinosessel fallen und die Augen übergehen lassen. Der Filmkritiker David Thomson hat dazu geschrieben: „Die Macht von Stars liegt in ihrer Beziehung zu Fremden. Sie haben eine neue Art von Bekanntschaft etabliert, Vertrautheit ohne Kontakt, Intimität ohne Erfahrung. Es ist für die große Show der Stars unerlässlich, dass sie jedem Augenpaar im Dunkeln dasselbe zuflüstern: ,Hier ist mein Geheimnis – nur für dich!'“

Jeder Einzelne fühlt sich angesprochen, jeder sieht sich erkannt in seinen Nöten und Bedürfnissen. Stars sind Projektionsflächen, und ihre Ausstrahlung bemisst sich geradezu danach, für wie viele Träume darauf Platz ist. Kein Wunder, wenn sie sich zu panzern versuchen gegen die Millionen Blicke, die auf sie gerichtet sind – und vielleicht ein noch größeres Wunder, wie bereitwillig sie sich andererseits diesen Blicken öffnen. Wie gierig sie sind nach Anerkennung und Aufmerksamkeit und wie naiv in ihrem Glauben, die Leute sähen nur, was sie, die Stars, auch wirklich zeigen wollen. Irgendwo tut sich immer eine Lücke auf, durch die man ihnen ins Herz blicken zu können glaubt. Irgendwo sind alle so verletzlich wie Siegfried unter dem Lindenblatt – selbst eine Eisheilige wie Greta Garbo, die glaubte, sie könne sich vor der Welt verstecken, und dann als altes Weib mit wirrem Haar abgelichtet wurde. Ihre Kollegin Marlene Dietrich hat nicht ohne Grund am Ende geseufzt, sie sei zu Tode fotografiert worden: „I’ve been photographed to death.“

Letztlich ist es wie bei den alten Griechen und Römern. Irgendwann hatten sie ihre unnahbaren Götter satt und wandten sich an andere, zugänglichere Halbgötter. Diese neuen Götter waren Zwitterwesen, Anwärter auf göttliche Unsterblichkeit einerseits, menschliche Natur andererseits.
Die Zeiten haben sich geändert, aber das System ist das gleiche: Unser Jahrhundert hat seine Götter in den Stars gefunden. Sie sind Menschen wie du und ich, aber so wenig aus Fleisch und Blut wie unsere Träume.

Es ist womöglich nicht das schmutzigste Wort der Filmgeschichte – aber ganz sauber ist es nicht, und ins Deutsche lässt es sich nur schwer übersetzen: unfinished fuck – das war lange Zeit das brauchbarste Rezept, den Zuschauer zu verführen, und am besten lässt es sich in Billy Wilders „Verflixtem siebtem Jahr“ studieren. Der Held will mit der Heldin schlafen; aber leider kommt immer wieder was dazwischen, und wenn der Film zu Ende geht, hat er Marilyn nicht gehabt, und trotzdem hat sie ihn glücklich gemacht. Womit es dem Hauptdarsteller nicht anders ergeht als dem Zuschauer. Und wenn eben doch nichts läuft zwischen den beiden, dann sind Marilyn Monroes zärtliche Sätze über Brillenschlangen, Eckensteher und all die anderen schüchternen Jungs direkt an die Eckensteher im Publikum gerichtet. Marilyn liebt dich. Das ist besser als Sex auf der Leinwand.

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