19. September 2003 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Bericht | Lieblingsfilme der US-Präsidenten

Erkenntnisse im East Wing

Das Kinotagebuch der amerikanischen Präsidenten

Die liebste Vorstellung von Cineasten ist es, man könne sie an ihren Lieblingsfilmen erkennen – und alles, was sie ansähen, gäbe Auskunft darüber, wer sie sind. Auch wenn man mit diesem Verfahren nicht gleich auf den Charakter schließen kann, so läßt sich doch vielleicht feststellen, daß die Vorlieben etwas darüber aussagen, welches Bild einer gern sähe, wenn er in den Spiegel blickt; wovon er träumt und wovon er sich bewegen läßt. Schon deshalb ist es ganz aufschlußreich zu erfahren, daß HIGH NOON der Lieblingsfilm der amerikanischen Präsidenten ist. Fred Zinnemanns klassischer Western aus dem Jahr 1952 zeigt einen Mann, der nicht weichen will und sich seinen Feinden stellt, obwohl ihm alle den Rücken zukehren, selbst seine Braut. Kein Wunder, daß sich Bill Clinton den Film zwanzig Mal angesehen haben soll.

Welche Präsidenten welche Filme angesehen haben, wurde nun bekannt, als der langjährige Filmvorführer des Weißen Hauses, Paul Fischer, für die Fernsehdokumentation ALL THE PRESIDENT’S MOVIES Einblick in seine Notizbücher gewährte. Über drei Jahrzehnte hatte Fischer penibel Buch geführt, wer sich was mit wem im East Wing angesehen hat: sieben Präsidenten, fünftausend Filme, eine Art Kinogeschichte von oben. Hinter HIGH NOON folgen auf den Plätzen: STADT IN ANGST, CASABLANCA, EIN HERZ UND EINE KRONE, PATTON, SABRINA, EIN MANN FÜR JEDE JAHRESZEIT, DER LÄNGSTE TAG, DIE BRÜCKE AM KWAI und FELD DER TRÄUME. Bevorzugt geht es also um Männer, die tun, was sie tun müssen, starrsinnige Helden, die Visionen haben und dafür Opfer bringen – und wenn Audrey Hepburn mitspielt, ist es auch kein Schaden.

Schon 1915 hat sich Woodrow Wilson BIRTH OF A NATION vorführen lassen, aber da Paul Fischer erst 1953 als Vorführer anfing, weiß man erst über spätere Präsidenten mehr. Dwight Eisenhower liebte demnach Western, von denen er in seiner Amtszeit immerhin zweihundert angesehen hat. Der Kriegsheld lehnte jedoch Kriegsfilme ab – und alle Filme, in denen Robert Mitchum spielte. Der Schauspieler war nämlich 1949 ins Gerede gekommen, als er eine kurze Haftstrafe wegen Marihuana-Besitzes abbüßen mußte.

John F. Kennedy hatte im Vorführraum ein Bett aufstellen lassen, nutzte das Kino aber selten – womöglich war er den Leinwandstars auch so nahe genug. Aber seine Frau benutzte den Saal für gehobenere Ansprüche wie LETZTES JAHR IN MARIENBAD (1961) von Alain Resnais, in dessen Monotonie auf langen Hotelfluren sie sich anscheinend ganz gut wiederfand. Allgemein kann man sagen, daß anspruchsvollere Ware bei den Präsidenten weniger gut ankam. Clinton soll nach einer Aufführung von Jane Campions PIANO gefragt haben: „Was sollte das denn?“

Lyndon B. Johnson konnte mit dem Kino nicht viel anfangen, sah aber über ein dutzendmal die zehnminütige Dokumentation THE PRSIDENT, in der es um seine eigene Präsidentschaft ging. Richard Nixon flüchtete bevorzugt in Musicals aus den Dreißigern und Vierzigern, während vor seinen Fenstern gegen den Vietnamkrieg protestiert wurde. In der Woche, als er die Bombardierung Kambodschas befahl, hat er sich zweimal Franklin Schaffners PATTON angesehen, in dem George C. Scott den eigenwilligen Weltkriegsgeneral spielte.

Jimmy Carter begann seine Amtszeit folgerichtig mit dem Watergate-Film DIE UNBESTECHLICHEN. Mit 580 Vorführungen liegt er an der Spitze der Filmliebhaber unter den Präsidenten. Carter war auch der einzige, der sich einen nicht jugendfreien Film angesehen hat: MIDNIGHT COWBOY mit Dustin Hoffman und Jon Voight.

Von Gerald Ford wird berichtet, er sei einmal beim Trickfilmvorspann zu DER ROSAROTE PANTHER eingeschlafen und erst beim Abspann wieder aufgewacht, um dann seine Familie zu fragen, wie sie allen Ernstes einen zweistündigen Zeichentrickfilm habe aushalten können. Ronald Reagan wiederum, der ja einschlägige Erfahrungen in der Branche hatte, sah sich nach einer Aufführung der apokalyptischen Fernsehserie THE DAY AFTER bemüßigt, Kürzungsvorschläge zu notieren und dem Regisseur Nicholas Meyer zukommen zu lassen – der soll den Zettel jedoch wutentbrannt zerrissen haben.

Natürlich spiegeln die Listen nicht nur den Geschmack der Präsidenten; mitunter geht es einfach nur darum, auf dem laufenden zu bleiben und etwa die aktuellen Hits und Oscarfilme gesehen zu haben. So hat sich Bill Clinton etwa SCHINDLERS LISTE, DER ENGLISCHE PATIENT und AMERICAN BEAUTY, aber auch INDEPENDENCE DAY und DIE NACKTE KANONE zeigen lassen – dazu kommen jedoch auch obskurere Filme wie Billy Bob Thorntons SLING BLADE oder Baz Luhrmans STRICTLY BALLROOM sowie, man höre und staune, Joseph Vilsmaiers Film COMEDIAN HARMONISTS.

George W. Bush hat laut ALL THE PRESIDENT’S MOVIES nach BLACK AWK DOWN, Ridley Scotts Drama über das Debakel des Somalia-Einsatzes, nicht etwa Interventionen dieser Art abgeschworen, sondern ganz im Gegenteil den Schluß daraus gezogen, das Militär müsse entsprechend verstärkt werden. Ansonsten läßt er sich in der Air Force One jedoch lieber Aufzeichnungen von Baseball-Spielen der Texas Rangers zeigen. Ob er vielleicht doch Michael Moores BOWLING FOR COLUMBINE gesehen hat, ist nicht bekannt.

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