20. Juli 1995 | Süddeutsche Zeitung | Porträt | Toni Lüdi

Eine Mark für Ausstattung

Toni Lüdi stellt dem deutschen Film unangenehme Fragen

Wenn man Toni Lüdi Ausstatter nennt, streckt er die Hand aus und sagt: ‚Das kostet eine Mark.‘ Wenn er jedesmal eine bekäme, wäre er vermutlich reich. Es geht ihm dabei nicht um Wortklauberei, sondern um Grundsätzliches. Ausstattung klingt so, als handle es sich nur darum, Blumenvasen ins Bild zu stellen oder Möbel zu verrücken. Was Lüdi jedoch macht, wird sogar als Studiengang angeboten. Er ist selbst Professor für Szenografie an der Fachhochschule Rosenheim. Das bedeutet laut Beschreibung, daß er lehrt, wie ‚der szenische Raum, in dem sich die dramatsiche Kunst des Schauspiels für die Kamera darbietet, unter der besonderen Beachtung der sinnlichen Notwendigkeit der Szene ausgesucht, entworfen und gebaut wird‘. Deshalb legt er Wert darauf, nicht Ausstatter genannt zu werden. Ob aber das Wort ‚Szenografie‘ geeignet ist, um an einem Ausdruck zu rütteln, der sich eingebürgert hat, ist zweifelhaft. Lüdi selbst nennt sich Szenenbildner; aber er lädt jeden ein, sich ein besseres Wort einfallen zu lassen.

Der Schweizer, der Malerei studiert hat, war bei etwa hundert Fernsehsendungen und 18 Spielfilmen fürs Szenenbild verantwortlich; für den Zauberberg hat er 1982 ein Filmband in Gold gewonnen. Seine Frau Heidi ist in derselben Branche tätig, und gemeinsam haben sie an Der amerikanische Freund von Wim Wenders gearbeitet. Filme von Trotta, Noever, Geissendörfer, Bohm oder Hauff folgten, später Abwärts von Carl Schenkel, Der Bär von Jean-Jacques Annaud und zuletzt Der Totmacher von Romuald Karmakar.

Lüdi hat sich etwas rar gemacht in den letzten Jahren, weil er erst Vorstand und Geschäftsführer des S/F/K, des Verbandes der Szenenbildner, Filmarchitekten und Kostümbildner, und dann Leiter der Studiengangs in Rosenheim war. Er kämpft sozusagen um das Berufsbild des Szenenbildners in Deutschland: ‚Jeder braucht einen Berufsstolz. Aber die Szenenbildner sind viel zu bescheiden, viel zu fleißig. Die tun ihre Arbeit und kümmern sich nicht groß darum, sie darzustellen.‘

An dieser Selbstdarstellung arbeitet also Toni Lüdi, und das Talent dazu besitzt er zweifellos. Er spricht mit einer Leidenschaft von seinem Beruf und seinen Vorbildern, wie man sie selbst bei Regisseuren nur selten findet. Wenn er vor seinem Bücherschrank steht, dann zieht er begeistert ein Buch nach dem anderen heraus, zeigt Entwürfe und Storyboards seiner Idole und schwärmt von den Farben in diesem oder dem Licht in jenem Film. Mal schaltet er den Videorecorder an, um ein Interview mit Henry Bumstead zu zeigen, der erklärt, warum der Szenenbildner dem Regisseur viel näher ist als der Kameramann; mal zeigt er die Dias von den Ausflügen, die er mit seinen Studenten zu berühmten Kollegen in London unternommen hat, oder von seiner Arbeit an Der Bär.

Dabei sieht man vor allem, daß vieles von dem, was man im Film für echte Felsen gehalten hat, von Lüdi künstlich hergestellt worden ist. Natürlich gilt für seine Arbeit häufig, daß sie am besten dann ist, wenn man sie nicht wahrnimmt. Seine Lieblingsfrage zu diesem Thema ist: Wieviel Prozent von Jane Campions Piano sind im Studio gedreht worden? Auf neunzig Prozent kommt kaum einer.

Wenn man mit Lüdi durch das Bayerische Filmzentrum am Geiselgasteig geht, wo gerade bis 13. September die Abschlußarbeiten seiner Studenten ausgestellt sind, dann befällt ihn nicht nur Stolz auf die Ergebnisse, sondern vor allem auch Wut über die deutschen Verhältnisse. Besonders verdrießt ihn, daß Hunderte von Millionen für die Filmförderung ausgegeben werden, man sich aber – andauernden Mißerfolgen zum Trotz – hierzulande weigert, zur Kenntnis zu nehmen, daß ein Projekt nicht nur aus Texten besteht, sondern auch aus Bildentwürfen.

Deshalb hat Lüdi an die diversen Förderanstalten ein Papier verschickt, in dem er anregt, eine Projektförderung einzurichten, die eine bildliche Bearbeitung der Drehbücher ermöglicht: Farbige Perspektiven der Hauptschauplätze, Storyboards zu den Schlüsselszenen, Kostümentwürfe der Hauptrollen. ‚Da habe ich dann zwar Vorlaufkosten von 100 000 Mark, aber dann weiß ich wenigstens vorher, was ich für einen Film mache – und nicht erst hinterher.‘ Reaktionen hat er auf seine Vorschläge kaum bekommen.

Dabei wäre es zum einen bei den momentanen Ergebnissen wirklich kein Risiko, Alternativen auszuprobieren. Und zum anderen zeigen die Entwicklungen allerorten, daß das Production design für die Vermarktung von Filmen immer wichtiger wird. Es müssen ja nicht gleich Filme wie Batman sein, die von nichts anderem leben, aber sich als Förderer hinzustellen und zu hoffen, der Regisseur werde es dann schon richten, ist doch reichlich naiv. ‚Ich behaupte ja nicht, daß das Szenenbild einen heilsamen Einfluß auf alles hat‘, sagt Lüdi, ‚aber wenn man vorher darüber redet, was man machen will, dann zwingt das schon zu einer gewissen Disziplin.‘ Und er fügt hinzu: ‚Drum mögen Regisseure Kameramänner lieber: Die stellen nicht schon Monate vorher so unangenehme Fragen.‘

Professor Lüdi hat aber noch ein anderes Problem: Dieser Tage wird entschieden, ob der Studiengang in Rosenheim weitergeführt werden kann. Wenn man nicht begreift, daß diese Million gut investiert ist, wird man am Ende erst recht draufzahlen.
MICHAEL ALTHEN

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