06. August 1994 | Süddeutsche Zeitung | Porträt | Gunter Groll

Alles fließt

Die Lupe ehrt Gunter Groll mit Renoir

„Der Film läuft an, der Ganges fließt, der Film rinnt weiter, der Ganges auch, es passiert und passiert nichts und den Betrachter beschleicht das Gefühl, er sei versehentlich in ein Kulturfilmprogramm geraten.“

So fängt Gunter Grolls Kritik an, so fließt sie dahin, und am liebsten möchte man ihr freien Lauf lassen. Nicht daß Groll ein Mann der ruhig fließenden Feder gewesen wäre – sein Schreiben ist ganz im Gegenteil voller Wasserfälle und Stromschnellen. Einmal eingetaucht, kann man sich ihrem Fluß kaum entziehen. Und daran ändert auch die Tatsache nichts, daß Groll nach Art von Alfred Kerr alle Texte römisch durchnumeriert hat. So ließ er dem Leser Zeit zum Luftholen, ehe er ihn wieder eintauchen ließ.

Die Ziffern machten schon auf den ersten Blick klar, daß es sich bei diesen Kritiken um kunstvolle Konstruktionen handelte. Der Text wirkte wie ein Tempel, dem man sich mit Respekt näherte, um dann erstaunt zu erleben, wie Groll dort auf den steinernen Böden Rollschuh fuhr.

Gunter Groll wäre gestern 80 Jahre alt geworden, aber leider ist er schon 1982 gestorben. Heute und morgen ehrt ihn die Lupe um 18.15 und 20.30 Uhr mit der Aufführung eines seiner Lieblingsfilme, Jean Renoirs THE RIVER, zu deutsch DER STROM, über den Groll unter III schrieb: ‚Jean Renoir hat herrliche Filme gemacht. Doch niemals wurde so deutlich wie hier, daß er der Sohn von Auguste Renoir, dem Maler, ist. Wie weiß er mit der Farbe umzugehen! Wie fängt und erfühlt er das indische Licht, den Tropenhimmel, die Nacht überm Fluß! Das ist ganz und gar malerisch, doch ganz und gar nicht im filmgewohnten Sinn des dekorativ Arrangierten. Statt des knallenden Farbrausches, Scharlach und gelbes Geglüh, überwiegen die Zwischentöne: purpurne Ruhe, gedämpftes Gelb, das sanfte indische Grün.‘

Ab 1946 hat Gunter Groll in dieser Zeitung den Ton angegeben, und es gab in diesem Land keine Stimme, die sich mit ihm messen konnte. Auch dort, wo man nicht seiner Meinung ist, kann man lernen: Daß es keine Liebe zum Kino ohne Lust an der Sprache gibt. Die Tugenden, die er hinter Renoirs Bildern spürte, waren auch die seinen: ‚die Liebe, die Barmherzigkeit, die Gelassenheit und die Heiterkeit‘.

Schreibe einen Kommentar

Ihre E-Mailadresse wird nicht öffentlich angezeigt. Pflichtfelder sind mit * markiert. Mit Absenden Ihres Kommentars werden Ihre Einträge in unserer Datenbank gespeichert. Weitere Informationen finden Sie in unserer » Datenschutzerklärung


14 − sieben =