27. November 1997 | Süddeutsche Zeitung | Interview | Wim Wenders

Die Not der späten Jahre

Wim Wenders erzählt, warum er nach langer Pause wieder Lust aufs Kino hat

In Ihrem neuen Film zitieren Sie ausgiebig den Maler Edward Hopper. Sie sind überhaupt ein großer Vermittler von anderen Künstlern: sei es dem Photographen August Sander oder dem alten Antonioni, dem Autor Sam Shepard oder dem Modemacher Yamamoto, dem Musiker Ry Cooder oder eben Hopper. Brauchen Sie die anderen Künste, um Ihren eigenen Vorlieben eine Form, einen Ausdruck zu verleihen?
Das ist für mich schon etwas, was Sachen überhaupt festhält. Ich weiß gar nicht, was ich für einer geworden wäre, wenn es das Kino nicht gegeben hätte, wenn ich doch Maler geworden wäre. Denn das Formgeben im Kino ist ja etwas höchst Befreiendes – was man von der Malerei nicht so unbedingt sagen kann. Maler sind ja eher Gefangene. Alle Maler, die ich kenne, sind Sklaven ihrer Leinwände. Im Kino hat Formfinden immer nur etwas Befreiendes, etwas Öffnendes, wo Erfahrungen gleichzeitig gemacht und weitergegeben werden können.
Es gehört aber auch ein Talent dazu, diese Erfahrungen so bewußt als Freiheit genießen zu können.
Das war auch für mich am Anfang nicht unbedingt eine Freiheit. Ich habe anfangs ziemlich viele Ängste ausgestanden und fand auch das Drehen nicht besonders angenehm. Ich habe das Vorbereiten und das Schneiden viel mehr genossen, aber so nach und nach finde ich das Drehen eigentlich das Schönste. Im Konzipieren wird die Form zwar geboren, und hinterher wird sie dingfest gemacht, inzwischen habe ich mich zu einem entwickelt, der auch gerne dreht. Dabei dachte ich, das bliebe immer ein Krampf. Ich habe Truffaut immer gut verstehen können, wenn er sagte: Nach dem ersten Drehtag will ich nur fertig werden.
Brauchen Sie immer andere Künste oder Künstler, um bestimmte Sachen zu fokussieren oder zu filtern?
Ich habe von Anfang an ein einziges großes Problem gehabt und habe es auch nie richtig eindämmen können: Daß ich mit jedem Film viel zu viel erzählen will. Und da hat es mir ein bißchen geholfen, wenn es jemanden gibt, der all das begrenzt, was sonst noch hineinkönnte. Das einzige, was ich wirklich noch lernen möchte beim Filmemachen, ist ein bißchen mehr Disziplin bei den Ideen. Ich habe immer viel zu viele Ideen für jeden Film. Es fängt immer einfach an und sieht wunderbar einfach aus, und wird dann doch immer zu komplex. Deswegen hat es mir jetzt ganz gut getan, mit Nicholas Klein so eng zusammenzuarbeiten und einen so engen Drehplan zu haben, daß kaum für etwas anderes Zeit war als für das Geschriebene. Das habe ich mir immer gewünscht, daß ein Autor als Zwillingsbruder bis zum Schluß dabei ist. Das ist vielleicht auch ein Mittel, um die Vielfalt der Ideen einzuschränken.
Werden die Filme in Zukunft schneller entstehen?
Schnelles Arbeiten ist eigentlich kein Schutz, im Gegenteil: Wenn man so schnell arbeitet und mit dem ersten Wurf ins Drehen geht, dann kommt die ganze Sintflut von dem, was man sonst in einem zweiten und dritten Drehbuch verarbeitet hätte, auf einmal angeschwemmt und will auch noch mit rein. Man muß einfach nur ein bißchen disziplinierter werden. Ich habe von 1971 bis Anfang der Achtziger jedes Jahr einen Film gemacht und selbst produziert. Das war das Autorenkino par excellence – deshalb habe ich diese Disziplin nie kennengelernt. Es hat mir nie jemand gesagt, was ich machen soll. Das hat sich jetzt geändert, und dieses Modell ist ja auch verhältnismäßig kraftlos geworden.
War denn der Niedergang des Autorenfilms unausweichlich?
Ich glaube schon. Historisch war das sehr an diese Nachkriegszeit gebunden, erst in Frankreich oder Italien und dann nochmal in so einer Hochblüte in Deutschland in den siebziger Jahren. Das Modell hat sich auch ein bißchen ausgelebt. In diesem Konsumzeitalter und dem Spätkapitalismus ist das eigentlich auch ein Anachronismus. Ich hoffe, daß ich weiter auf diese Art den einen oder anderen Film machen kann, aber im großen und ganzen muß man sich auf andere Modelle einrichten – und da habe ich auch Lust darauf.
Es war ja auch an der Zeit, daß das Kino hierzulande zu Figuren oder einer Sprache findet, in der sich die Leute wiederentdecken können. Aber der Preis ist auch ziemlich hoch. Es herrscht schon eine große Beliebigkeit im Erzählen.
Das ist für mich auch mit das Schmerzhafteste am Kino. Ich schaue ja wirklich alles, was läuft, gehe immer noch gern und viel ins Kino, aber manchmal tut es einem schon weh, wenn man sieht, wie formelhaft vorgegangen wird und wie vorhersehbar alles ist. Und man überhaupt niemanden mehr sieht, der sich eine Freiheit nimmt, mal anders zu reagieren, oder die Geschichte in eine Richtung geht, die man nicht erwartet hat. Oft ist es so, daß man ab der erste Minute mitflüstern kann, wie es weitergeht.
Warum nennen Sie AM ENDE DER GEWALT Ihren „zweiten ersten Film”? Was mußte passieren, um so etwas sagen zu können?
Ich hatte das Gefühl, daß ich lange Zeit ausgesetzt habe. Ich habe LISBON STORY gemacht und den ANTONINI und mit den Münchner Studenten den SKLADANOVSKYy-Film, aber ich habe sozusagen nix erzählt, vier, fünf Jahre lang, so kam es mir zumindest vor. Das zweite Mal nach Amerika zu kommen, nach dem ersten sieben- oder achtjährigen Abenteuer, und zum ersten Mal mit einem ganz neuen Team zu arbeiten und zum ersten Mal auf ein Triumviratsprinzip mit Produzent und Autor zu setzen – das war für mich schon in vieler Hinsicht ein neuer Anfang, auch wenn das vielleicht ein bißchen blöd klingt.
Woran lag es denn vorher, daß diese Lust zum Erzählen nicht mehr da war? Es war – wie heißt das auf deutsch? – der aftermath von zwei Filmen wie PARIS,TEXAS und HIMMEL ÜBER BERLIN hintereinander und das verhältnismäßige Scheitern von BIS ANS ENDE DER WELT Der große Erfolg von PARIS, TEXAS und der unerwartete Erfolg von HIMMEL und das Scheitern von BIS ANS ENDE, der mich vier oder fünf Jahre gekostet hatte, haben mich doch ziemlich verunsichert, wie das dann weitergehen soll. Und aus dieser Verunsicherung entstand der Film Far Away So Close, der sich ja aus seinem Schatten nicht hat lösen können, obwohl ich nie gedacht hätte, daß dieser Schatten so beschwerend wäre. Der Film war gerade hier in Deutschland ein ziemliches Fiasko, danach habe ich erstmal eine Pause einlegen müssen. Und LiSBON STORY und DIE GEBRÜDER SKLADANOVSKX waren dann sozusagen die Pausenfilme.
Was haben Sie aus dieser Pause gelernt? Sie sind ja wie kein anderer in der Lage, aus solchen Situationen das Beste zu machen.
Ich will auch nicht den Eindruck entstehen lassen, daß ich mich beklage oder daß ich irgendwas nachtrauere. Für mich ist BIS ANS ENDE immer noch mit die beste Arbeit, die ich gemacht habe, auch wenn sie gescheitert ist, und FAR AWAY liegt mir nach wie vor am Herzen. Ich habe davon auch gelernt. Es gab ja auch was Großes zu lernen in dieser Zeit. In den neunziger Jahren hat sich ja das Kino, die ganze Idee von Kino, sehr verändert. Es gibt neue Techniken, die man allmählich ernst nehmen kann.
Die Sie aber schon immer ernster genommen haben, als sie zugegeben haben. Die technischen Möglichkeiten sind in Ihren Filmen gar nicht so negativ besetzt, wie Sie es gesprächsweise gerne darstellen.
Die sind zum Teil sogar sehr lustvoll besetzt. Man kann damit sehr gut spielen. Es ist doch unheimlich viel im Umbruch. Man hat den Eindruck, man arbeitet in einer Formensprache, in einem Handwerk, in einer Industrie, die sich im Moment ähnlich radikal verändert, wie vorher vielleicht nur einmal Ende der zwanziger Jahre. Jetzt sehen wir allmählich, daß dieses Kino, von dem ich Ende der siebziger Jahre gedacht habe, daß es das Jahr 2000 gar nicht mehr erlebt, weil es vorher schon zu Ende ist, daß das tatsächlich die größte Industrie des nächsten Jahrhunderts sein wird: die Unterhaltungsindustrie. Die Abwesenheit von Kriegen und der relative Wohlstand haben die Leute in einem ungeahnten Maße in ein Leben aus zweiter Hand getrieben.
Gerade diese Größe droht es aber auch zu ersticken. Es wird immer mehr angeboten, und man kriegt immer weniger. Im Kino gibt es alles mögliche darum herum – und das Geschichtenerzählen ist ein immer winzigerer Kern der Sache. Das, was das Kino ist, wird immer unwichtiger.

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