23. Oktober 1997 | Süddeutsche Zeitung | Interview | Alan Rudolph

Wie ein Stein im Schuh

Warum Alan Rudolph beim Sehen von „Pulp Fiction” dachte, das Ende seiner Karriere sei gekommen

Was denken Sie, wenn Sie ihre Filme auf der Leinwand sehen?
Ich leide. Es ist jedesmal dasselbe: Wenn man anfängt, denkt man sich: „Wir machen hier etwas, was jeder Mensch gerne sehen möchte. Die Welt wartet nur auf diesen Film. ” Irgendwann, leider zu spät, erkennt man, was man gemacht hat. Dann kommt der Film aber schon in die Kinos, und man fragt sich: „Was habe ich mir dabei nur gedacht?”
In Amerika gelten Sie als Außenseiter; in Europa käme man allerdings kaum auf die Idee, daß Sie ein besonders exotischer Regisseur sind.
Wenn ich in Amerika Mainstream wäre, müßte man den Strom schon beträchtlich erweitern. Ich muß wirklich dafür kämpfen, Filme machen zu können und in die Kinos zu bringen. Nach Mrs. Parker gab es niemand, der ernsthaft mit mir über Projekte geredet hätte. Dabei würde ich, wenn ich Geldgeber wäre, mich jederzeit engagieren, weil ich nicht ein einziges Mal mein Budget überschritten habe, nicht einmal bei meinen Low-Budget-Filmen.
Und warum werden Sie trotzdem nicht engagiert?
Dazu muß man fairerweise sagen, daß ich bis jetzt jeden Film machen konnte, den ich machen wollte – mit Ausnahme des nächsten, der Vonnegut-Verfilmung BREAKFAST OF CHAMPIONS mit Bruce Willis. Das steht nur zu 90 Prozent fest. Ich habe mittlerweile so gut gelernt, wie man auf mich reagiert, daß ich im Falle eines plötzlichen Erfolges der Sache nicht einmal mehr trauen würde. Es ist, wie wenn man einen Stein im Schuh hat, an den man sich irgendwann auch gewöhnt.
Was unterscheidet Sie denn von Hollywood?
Hollywood schätzt mein Auge, aber nicht das, was ich sehe. Man muß sich nur mal den Trailer zu MRS. PARKER ansehen, dann wissen Sie, was ich damit meine: Es beginnt damit, daß Cops an die Tür einer Flüsterkneipe trommeln. Diese Szene macht im Film vielleicht zehn Sekunden aus. Dann hört man ein Raunen: „Dies waren die Roaring Twenties, eine Ära zwischen Alkohol und Prohibition. ” Und so weiter. Dann gab es eine Szene mit Andrew McCarthy, wie er Jennifer eine Ohrfeige gibt. Dazu hieß es: „Das Leben war hart. ” Wenn jemand mit diesen Erwartungen in den Film geht, wird er ihn ganz gewiß nicht mögen.
Geht es also nur darum, daß Ihre Filme sich schwerer verkaufen lassen, oder noch um etwas anderes?
Ich habe in Cannes ein paar Probleme bekommen, als ich gesagt habe, in Joghurt gäbe es mehr Kultur als in Hollywood. Der Hauptgrund, warum Menschen sich Filme ansehen, ist doch eigentlich, daß sie sich überraschen lassen möchten. Dann lassen sie sich von Hollywood alles mögliche vorsetzen und sind überrascht, obwohl sie das doch schon alles kennen. Wenn man aber einen ganz anderen Film macht und die Leute tatsächlich überrascht, reagieren sie eher verärgert. Die meisten Amerikaner haben kein Problem damit, die unwahrscheinlichsten Actionszenen nachzuvollziehen – aber meine Filme halten sie für unrealistisch. Es sind vielleicht Märchen, aber sie sind realistisch.
Dennoch war CHOOSE ME ein Erfolg in Amerika.
CHOOSE ME hat 700 000 Dollar gekostet und zehn Millionen Dollar allein in den USA eingespielt. Aber die Produktionsfirma behauptet immer noch, daß er fünf Millionen Verlust gemacht hat, obwohl sie kaum Werbung machten. Ich kann mich erinnern, daß ich einmal abends mit Keith Carradine den Sunset Boulevard entlanggefahren bin und die riesigen Plakate gesehen habe, mit denen dieselbe Firma für einen anderen Film Werbung machte. Wahrscheinlich hat jedes Filmplakat 20 – 30 000 Dollar gekostet. Wir sind also an diesen Filmplakaten vorbeigefahren und haben gesagt: „Dort hängt dein Honorar, dort meines, dort das von Geneviève. ”
War das das schlimmste Erlebnis in Ihrer Karriere?
Der schlimmste Moment – ich hatte viele – war die Zeit nach MRS. PARKER, als ich nicht mehr arbeiten konnte. Ich war überzeugt, jetzt ist es vorbei. Ich meine nicht, daß ich mir selbst leid getan hätte, aber ich habe gesehen, was die Realität ist. PULP FICTION und MRS. PARKER wurden im selben Jahr in Cannes gezeigt. PULP FICTION ist ein toller Film. Seine Stärke war nicht, daß sich die Typen gegenseitig erschossen und sich danach einen Witz erzählt haben oder daß sie sich über McDonalds unterhalten haben.
Die wirkliche Stärke dieses Filmes war seine Struktur, die mit den Möglichkeiten des Romans arbeitete. Der Film war perfekt, die Schauspieler waren außerordentlich. Ich saß da, und die Zuschauer waren außer sich vor Begeisterung. Da habe ich in meinem Kopf das Ende meiner Karriere vorbeiziehen sehen. Ich dachte, „Mein Gott, das ist der Film, den sich die Menschen immer gewünscht haben. Er vereint Gewalt, Unterhaltung, Witz und Intellekt. Es ist ein Kunstwerk und trotzdem kommerziell. Jeder Filmverleih wird ihn haben wollen. ” Ich dachte, das ist das Ende der Zivilisation, wie ich sie kenne. Und ich hatte recht. Dieser Film hat alle anderen unwichtig werden lassen.
Reagieren Sie auf andere Hollywoodfilme auch so verzagt?
Ich saß unlängst im Flugzeug, habe gelesen und währenddessen immer wieder auf die Bordleinwand geblickt, wo DANTE’S PEAK gezeigt wurde. Jedesmal, wenn ich aufsah, gab es eine Szene, die mir buchstäblich den Atem hat stocken lassen. Bei jeder Sprechszene wußte ich zwar genau, was sie sagen: „Rettet den Hund! Rettet die Großmutter!” Aber ich habe mir diese Vulkanszenen angesehen und mich gefragt, wie machen die das, diese rutschenden Felshänge, diese herumpurzelnden Autos. Aber dieses Staunen belegt auch, daß die Effekte reiner Selbstzweck geworden sind, wo es früher noch darum gegangen ist, die Menschen zu berühren.
Aber es gibt ja auch andere Filme, in denen es um mehr als nur Effekte geht.
Sicherlich. DER ENGLISCHE PATIENT wird ein ganz besonderer Film bleiben, aber solche Filme konnten Sie früher einmal die Woche sehen. FARGO ist auch ein schöner Film, wäre vor 20 Jahren schon ein toller Film gewesen und wird es in 20 Jahren sicher auch noch sein. Aber vor 20 Jahren gab es viele solcher Filme, mindestens zehn im Jahr. Vielleicht nicht ganz so originell, aber wenigstens so, daß man gesagt hätte: „Super, hast du das gesehen, hast du jenes gesehen?” Das zeigt doch, daß für intelligente Leute mit Talent zum Überleben immer noch genug Raum bleibt. Das ist meine Chance.
Sie gelten immer noch als Schüler Robert Altmans, dabei sind Sie längst aus seinem Schatten getreten. Wo sehen Sie denn noch Unterschiede?
Wenn gefragt wird, worum es in Bobs neuem Film geht, dann läßt sich das immer mit einem Schlagwort zusammenfassen: Mode, Politik, Hollywood. Wenn man mich fragt, kann ich nur sagen: „Ich mache einen Film über einen Mann, der eine Frau ansieht, die auf der anderen Seite des Zimmers steht. ”

Schreibe einen Kommentar

Ihre E-Mailadresse wird nicht öffentlich angezeigt. Pflichtfelder sind mit * markiert. Mit Absenden Ihres Kommentars werden Ihre Einträge in unserer Datenbank gespeichert. Weitere Informationen finden Sie in unserer » Datenschutzerklärung


10 + 20 =