15. Dezember 2010 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Filmkritiken, Rezension | The Tourist

Mr. & Mrs. Hunderttausend Volt

Florian Henckel von Donnersmarcks erster Hollywoodfilm: THE TOURIST

Vor der Deutschland-Premiere von „The Tourist“ stellt sich die Situation folgendermaßen dar: So universell die Bewunderung für Florian Henckel von Donnersmarcks Erstling DAS LEBEN DER ANDEREN war, die bekanntlich in einem Oscar gipfelte, so einhellig scheint die Ablehnung unter Kritikern für seinen zweiten Film, den er mit Angelina Jolie und Johnny Depp gedreht hat und der am Dienstag für drei Golden Globes nominiert wurde.

An seinem ersten Wochenende hat THE TOURIST in Amerika nun siebzehn Millionen Dollar eingespielt, was zwar enttäuschend ist, aber in etwa dem entspricht, was vergleichbare Filme wie KNIGHT AND DAY mit Tom Cruise und Cameron Diaz oder DUPLICITY mit Julia Roberts und Clive Owen zuletzt einbrachten.

Sie sind deswegen vergleichbar, weil sie eine ähnlich simple Rechnung aufmachten: Mit zwei Stars, deren Attraktivität weltweit unbestritten ist, kann eigentlich nichts schiefgehen. Aber wie das mit dem Magnetismus manchmal so ist, sorgt er nicht automatisch für Anziehungskraft. Nicht jede Paarung ist ideal, nur weil auf beiden Seiten hunderttausend Volt Star-Power auf Entladung warten. Dass für einen Regisseur der Versuch trotzdem verführerisch ist, kann man nachvollziehen. Vor allem wenn man aus einem Land kommt, dessen Kino nichts Vergleichbares kennt.

Einzelkämpferin und koboldhafter Exzentriker

Wenn man allerdings Angelina Jolie und Johnny Depp betrachtet, dann erscheint die Vorstellung, bei ihrer Addition könnte eins plus eins drei ergeben, von vornherein abwegig. Schon vor dem geistigen Auge scheint Jolie einen Mann wie Depp turmhoch zu überragen, und keiner von beiden hat in letzter Zeit sonderlich viel romantische Anziehungskraft an den Tag gelegt. Depps Image ist durch koboldhaft exzentrische Rollen bei Tim Burton oder als Pirat der Karibik so festgelegt, dass auch seine Paarung mit Marion Cotillard in PUBLIC ENEMIES mehr Behauptung als echtes Knistern war.

Und Jolie ist seit MR. & MRS. SMITH eine Einzelkämpferin in eigener Sache, eine Schwangere auf der Suche nach ihrem entführten Mann in A MIGHTY HEART, eine Killerin in WANTED, eine Mutter auf der Suche nach ihrem entführten Sohn in THE CHANGELING, eine Agentin auf der Flucht in SALT gewesen – in allen Filmen eine wie Lara Croft am Computer entworfene Wunschvorstellung, die nicht von dieser Welt zu sein scheint. Ausgerechnet ihr wird nun Johnny Depp zum Fraß vorgeworfen. Es gehört schon einige Phantasie dazu, sich dabei knisternde Erotik statt knackende Knochen vorzustellen. Wer mag, kann sich ausmalen, ob vielleicht frühere Besetzungen des Projekts wie Charlize Theron, Tom Cruise oder Sam Worthington am Ausgang etwas geändert hätten.

Wenig Spielraum für Entscheidungen

Wie das beim Starkino aus Hollywood so ist, bleibt zwischen dem Drehbuch und der Besetzung weniger Spielraum für den Regisseur, als es sich ein selbstbewusster Mann wie Donnersmarck hätte träumen lassen. Vor ihm waren schon Lasse Hallström und Alfonso Cuarón an dem Projekt gescheitert, das auf dem französischen Film FLUCHTPUNKT NIZZA mit Sophie Marceau und Yvan Attal basiert (siehe „Der eigentliche Tourist“). Donnersmarck schrieb das Drehbuch von Christopher McQuarrie (THE USUAL SUSPETS) und Julian Fellowes (GOSFORD PARK) nochmals um, aber wie sich die Beziehung der Stars wirklich befeuern ließe, fiel ihm dabei auch nicht ein.

Erst mal geht es ohnehin darum, das Gefälle zwischen beiden zu akzentuieren. Jolie spielt die Geliebte eines Millionenbetrügers, die sich auf einer Zugfahrt nach Venedig einem möglichst arglosen Doppelgänger an den Hals werfen soll, um die Verfolger zu narren. Schon bei ihrem ersten Auftritt wird sie als außerirdische Erscheinung inszeniert, ein Spiel mit Jolies Über-Image, vor dem allerdings auch die Kamera von John Seale gelegentlich verharrt wie ein vom Scheinwerferlicht eines nahenden Autos geblendetes Wild. Merkwürdigerweise wirkt sie trotzdem eher wächsern und steif als elegant und anziehend.

Vorbilder sind Hitchcock und Donen

Aber natürlich kann man sich eine Zeitlang damit vergnügen, wie Donnersmarck versucht, Vorbilder wie Hitchcocks UNSICHTBAREN DRITTEN oder CHARADE und ARABESKE von Stanley Donen nachzuspielen – und wie er die augenzwinkernde Übereinkunft mit dem Zuschauer sucht, wonach die Wahrscheinlichkeit einen Film lang nicht ihr hässliches Haupt erheben möge. Letzteres stammt von Hitchcock; und auch wenn Vergleiche mit solchen Vorbildern nicht wirklich zulässig sind, muss man doch sagen, dass im Vergleich zu der unverblümten Art, mit der Eva Marie Saint 1959 im Speisewagen Cary Grant Avancen machte, das Zusammentreffen von Jolie und Depp im Zug nur vorführt, dass man in Hollywood vom Sex im Schlafwagenabteil kaum mehr zu träumen wagt. Aber immerhin ist es dann doch ziemlich lustig, wenn Jolie den mit einer lächerlichen Ersatzzigarette ausgestatteten Depp dazu auffordert, sie in den Speisewagen einzuladen. Und zwar wie ein richtiger Mann. Weil das beim erstenmal nicht klappt, muss er es ein paar Mal wiederholen, bis es nicht wie eine schüchterne Frage klingt.

Der Rest der Geschichte besteht aus einer Frau, die zu genau weiß, was sie tut, und einem Mann, der nicht weiß, wie ihm geschieht, ein paar Verfolgungsjagden durch Kanäle und über Dächer und dem in jeder Hinsicht wahren Satz: „Sie sind die am wenigsten bodenständige Frau, die ich je gesehen habe.“

Florian Henckel von Donnersmarck ist jetzt jedenfalls erst mal wieder auf dem Boden angelangt. Nicht der schlechteste Ort, um den dritten Film in Angriff zu nehmen.