22. Januar 2009 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Operation Walküre

Verhaften Sie den üblichen Verdächtigen!

"Operation Walküre" ist natürlich ein Tom-Cruise-Film - vor allem ist Regisseur Bryan Singer aber einer der spannendsten Thriller der letzten Zeit gelungen.

Erst mal möchte man aufatmen. Denn endlich kann man bei diesem Film zur Tagesordnung übergehen. OPERATION WALKÜRE (siehe auch: FAZ.NET-Sonderseite: OPERATION WALKÜRE) kommt ins Kino – und was darüber geschrieben wird, kann ab morgen von jedem, der sich noch dafür interessiert, überprüft werden. Dass es nicht irgendein Film sein soll, unterscheidet ihn erst mal nicht von anderen. Denn das versuchen sie alle ihren potentiellen Zuschauern weiszumachen. Weil das nicht so ganz einfach ist, setzt man vor allem in Hollywood gern darauf, dass mindestens ein Star mitspielt. Das hat den Vorteil, dass der Film auch dann Aufmerksamkeit bekommt, wenn ihn sonst eigentlich nichts von anderen Filmen unterscheidet. Wie gründlich das schieflaufen kann, ließ sich bei OPERATION WALKÜRE geradezu beispielhaft verfolgen.

Wo sonst Hollywoodstars auf Schritt und Tritt von der Berichterstattung hofiert werden, wenn sie bei uns drehen, ging es plötzlich nur noch darum, dass sich ein bekennender Scientologe am heiligen deutschen Widerstand vergreifen will. Und wo der Öffentlichkeit sonst der Umstand, dass bei Dreharbeiten ein paar Komparsen vom Laster fallen, etwa so egal ist, wie wenn in Schanghai ein Fahrrad umfällt, war diese Nachricht nun fast schon ein Beleg für den schlechten Leumund des Films. Materialschaden im Kopierwerk – typisch. Der Bambi für Cruise – ein Geschrei, als habe er das Bundesverdienstkreuz bekommen. Dann wurde der Filmstart nach hinten verschoben und wieder ein Stück nach vorne, von katastrophalen Testvorführungen war die Rede und von Nachdrehs – und all das mit einer Schadenfreude vorgetragen, als sei es ausgemachte Sache, dass einer wie Cruise den deutschen Widerstand natürlich auf Scientology-Rhetorik reduzieren wolle. Wo, so mögen sich die Filmemacher gefragt haben, sind wir da denn hineingeraten? Ins Deutschland des Jahres 2008, möchte man antworten, wo es offenbar keine drängenderen Probleme gab.

Fürs amerikanische Kino erst mal nichts Ungewöhnliches

Dabei wollten sie nur einen Film über den deutschen Widerstand drehen, über Hellsicht in düsterer Zeit, über Tapferkeit unter lebensgefährlichen Umständen, über Heldentum in aussichtsloser Lage.

Fürs amerikanische Kino ist das erst mal nichts Ungewöhnliches, für das Bild der Deutschen in der Nazizeit vielleicht doch. Es ist ja auch nicht so, dass sich das Kino nicht schon mehrfach der Geschichte angenommen hätte: Bernhard Wicki, Wolfgang Preiss, Joachim Hansen, Sky Dumont, Brad Davis, Sebastian Koch, sie alle haben Claus Schenk von Stauffenberg schon gespielt, aber Tom Cruise – das ging nun gar nicht.

Er erkennt eben eine gute Rolle, wenn sie in seine Hände gerät

Und zwar erstens wegen Scientology und zweitens wegen ausgemachter Unfähigkeit, den Mann Stauffenberg in all seiner Seelentiefe abzubilden. In der Tat sind nun Filme mit Tom Cruise in allererster Linie Tom-Cruise-Filme, unabhängig davon, ob er mit Martin Scorsese oder Sydney Pollack, Oliver Stone oder Steven Spielberg, Barry Levinson oder Ron Howard, Michael Mann oder Brian De Palma, Rob Reiner oder Neil Jordan, Cameron Crowe oder Paul Thomas Anderson, Tony Scott oder Roger Donaldson, Edward Zwick oder gar Stanley Kubrick arbeitet – aber schon diese Liste seiner Regisseure zeigt, dass er ein smartes Kerlchen ist, das es versteht, seine womöglich limitierten Fähigkeiten in den Dienst der besten Leute zu stellen.

Der Mann ist eben kein Idiot, sondern weiß ganz genau, was er kann und was er nicht kann – und der Umstand, dass er sich mit sechsundvierzig eine Rolle aussucht, die seine aufrechte Gestalt mit entsprechender Gesinnung legitimiert, beweist nur, dass er eine gute Rolle erkennt, wenn sie in seine Hände gerät. Stauffenberg ist ein Held, wie er im Buch steht – vor allem wenn man ihn vom ganzen sektiererischen Mumpitz des Vorbildes befreit -, und Bryan Singer (siehe auch: Video-Interview: Regisseur Bryan Singer über OPERATION WALKÜRE ist ein Regisseur, der mit DIE ÜBLICHEN VERDÄCHTIGEN schon einmal bewiesen hat, dass er aus einem pfiffigen Buch einen pfiffigen Film machen kann. Auch wenn er sich seither mit Sachen wie X-MEN eher mäßig interessant weiterentwickelt hat. Aber diesmal ist das Buch wieder von Christopher McQuarrie, der für THE USUAL SUSPECTS einst einen Oscar gewann, und deshalb standen die Chancen bei VALKYRIE für einen pfiffigen Film auch ganz gut – bis alles anfing schiefzulaufen.

Zwei Stunden lang atemlos auf der Stuhlkante

Und nun? Überraschung! OPERATION WALKÜRE ist ein Film wie andere auch. Mit einem Tom Cruise, der genau das spielt, was er kann – einen Mann, der noch mit Augenklappe gut aussieht und weiß, dass er noch besser aussieht, wenn er der alten Regel des amerikanischen Kinos folgt, wonach ein Mann sich in erster Linie durch das definiert, was er tut, und nicht durch das, was er denkt. Und doch ist dies weniger ein Tom-Cruise-Film als ein Bryan-Singer- oder vielleicht noch mehr ein Christopher-McQuarrie-Film. Denn er schafft es, dass man zwei Stunden lang atemlos auf der Stuhlkante sitzt, obwohl man weiß, dass der Sache kein Erfolg beschieden war. OPERATION WALKÜRE ist – man glaubt es kaum – der spannendste Thriller der letzten Zeit. Graue Menschen stehen in grauem Dekor und reden viel – und doch ist das großes Kino.

Weil das keiner glauben wird und man ja eigentlich nie viel verraten darf, obwohl der Ausgang doch bekannt ist, muss man vielleicht doch die eine Szene schildern, in der die ganze Kunst des Drehbuchschreibens und Filmemachens, die hier am Werk ist, sichtbar wird wie nirgends anders. Immer wieder im Verlauf des Films sieht man einen Raum, an dem hinter ein paar Dutzend Fernschreibern Sekretärinnen sitzen, die kontrollieren, was an Nachrichten von der Front oder sonst wo hereinkommt. Wenn irgendwann mal etwas Erwähnenswertes dabei ist, muss die Sekretärin den Arm heben, dann kommt ihr Vorgesetzter, prüft die Sache und gibt sie gegebenenfalls weiter. Dieses Protokoll hat man als Zuschauer schnell begriffen.

Das ist Kino: ein Augenblick der reinen Utopie

Irgendwann hat also Stauffenberg sein Attentat verübt, und inmitten der Wirren des unklaren Ausgangs sieht man wieder den Fernschreiberraum mit den Damen, die alles prüfen, was hereinkommt. Man hört nur das Geratter der Telegrafen und sieht die Vorgänge nur als stumme Pantomime. Und plötzlich zeigt die Kamera eine von ihnen, deren Augen sich mit Tränen füllen, während sie liest, und die dann ungläubig, zögerlich langsam ihren Arm hebt. Ihr Vorgesetzter kommt zu ihr, liest, reagiert ähnlich ungläubig, und während er zögert, ob er die Sache wirklich weitergeben soll, sieht man wieder den ganzen Raum – in dem nach und nach eine nach der anderen ihren Arm hebt.

Und für einen Moment lang glaubt man wider besseres Wissen tatsächlich, dass der 20. Juli 1944 der Tag war, an dem sich der Lauf der Geschichte änderte. Und was für einen schöneren Grund gäbe es, einen Film über Claus Schenk von Stauffenberg zu drehen? Das ist Kino. Ein Augenblick der reinen Utopie – darin unterscheidet sich dieser Film dann eben doch von den üblichen Verdächtigen.

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