25. Oktober 2018 | Preisträger*innen | Der Gewinnertext 2018

"No more Frauenghetto, bitte" von Antje Stahl

Architektinnen werden selten Professoren und werden kaum in Museen ausgestellt. Das Museum in Frankfurt am Main will die Ausgrenzung beenden und organisiert ausgerechnet eine Schau nur mit Frauen.

Erschienen am 11.10.2017 auf nzz.ch https://www.nzz.ch/feuilleton/no-more-frauenghetto-bitte-ld.1321020

Meine Herren. Zweiundzwanzig Frauen auf eine dunkle Etage quetschen, damit sie auch einmal eine Bühne bekommen und nicht nur am Rand stehen mit einem Zeigefinger in der Luft, um anzumelden: «Hey, ich will auch mitmachen» – das, meine Herren, ist nun wirklich ein Trauerspiel. Sofort sollte man den Stift fallen lassen und auf dem hohen Absatz kehrtmachen. Aber leider geht das nicht. Es muss ja schon wieder klargestellt werden, dass Ausstellungen wie «Frau Architekt» im Deutschen Architekturmuseum Frauen in den Wahnsinn treiben.

Selbst die Kuratorin Mary Pepchinski schaut etwas gequält auf das Ergebnis ihrer meisterhaften Arbeit in Frankfurt am Main. Seit Jahren recherchiert sie quer durch das Jahrhundert und quer durch Deutschland die Biografien und Werke von Architektinnen, wühlt sich durch Nachlässe, sichtet Modelle, telefoniert mit Nachkommen und durfte am Ende doch nur eine kleine Auswahl von zweiundzwanzig auf dieser einen Etage vorstellen. Das macht knapp fünf Quadratmeter Wandfläche für jede. Mehr als ein oder zwei Modelle, ein paar Zeichnungen und Fotos passen da nicht hin. Wie kann so etwas passieren? Wir stellen uns das ungefähr so vor:

Mitarbeiterin (motiviert): Wir haben zu wenig Frauen im Programm.
Chef (beschäftigt): Mhm.
Mitarbeiterin: Seit der Gründung des Museums im Jahr 1984 wurden 100 Einzelausstellungen für Architekten organisiert und nur 4 für Architektinnen.
Chef (SMS tippend): Ah ja?
Mitarbeiterin: Nur eine einzige Frau hat jemals den Pritzkerpreis gewonnen.
Chef (schaut auf): Zaha Hadid, ja, stimmt. Dann machen Sie doch mal was über die.
Mitarbeiterin (säuerlich): Es gibt auch andere Frauen, die Häuser gebaut haben, Siedlungen, Planetarien, Museen. Warum zeigen wir deren Arbeiten nicht?
Chef (verlegen): Lina Bo Bardi wäre auch okay.
Mitarbeiterin (wütend): Mehr Namen fallen Ihnen nicht ein? Die wurde bereits im Architekturmuseum der TU in München ausgestellt.
Chef: Schade.

Das vorläufige Ende der Konversation läutet dann die Lösung ein, die man tatsächlich in Frankfurt bestaunen darf: eine Sammelgeschichte, am besten unter dem Thema «Frauen», «Weiblichkeit» oder «Feminismus». Das Ausnahmeghetto, das die Regel bestätigt. Hat sich der Chef einmal zu ihm bekannt, ist das Problem vom Tisch.

Frauen only

Fünf Monate haben die Kuratorinnen Mary Pepchinski und Christina Budde nun Zeit, die Architektinnen erneut ins öffentliche Bewusstsein zu befördern. (Der ehemalige stellvertretende Direktor Wolfgang Voigt habe «verschiedene andere Aufgaben» übernommen, steht im Grusswort des Katalogs. Der Katalogbeitrag des Direktors Peter Cachola Schmal handelt von, Achtung, Zaha Hadid.) Fünf Monate lang läuft die Ausstellung mit beeindruckendem Begleitprogramm, in dem nur Frauen als Referentinnen auftreten.

Nur Frauen? Ja. Das ist mehr als okay. Es gibt ja genügend Anlässe, ausschliesslich Männergesichter zu bewundern – etwa auf einem Panel der Architekturbiennale 2016 in Venedig. Es besteht nur die Gefahr, dass diese Female-only-Besetzung wie eine Retourkutsche daherkommt, für die sich ohnehin nur Frauen interessieren.

Auch das ist okay. Oder müssen Frauen der Welt nicht mehr vor Augen führen, dass sie sich nicht darum scheren, Männern zu gefallen? Aber wenn sich dann auch noch alle Themen um das Geschlecht drehen, kommt man aus dem Teufelskreis nicht mehr heraus.

Eine Veranstaltung etwa heisst: «Women Architects and Politics in the Long 20th Century». Warum, fragt man sich, konzentrieren sich die Experten nicht auf das Thema «Architektur und Politik» und überlassen es den männlichen Kollegen, festzustellen, dass sie nicht eingeladen wurden? Warum muss das, was mit Frauen zu tun hat, im Jahr 2017 immer noch so extrawurstig daherkommen?

Zerbrechen wir uns später darüber den Kopf und gehen lieber zum angenehmen Teil über: dem aufregenden Fundus, der sich hier auftut. Zweiundzwanzig Architektinnen haben es ja in die Auswahl geschafft. Die ältesten – Emilie Winkelmann und Therese Mogger – sind Jahrgang 1875. Die jüngste, Almut Grüntuch-Ernst, ist Jahrgang 1966. Alle haben eine Gedenktafel bekommen, auf der das Porträt und eine kurze Vita stehen, ausserdem Vitrinen, in denen unter anderem Zeitungsartikel liegen, die den Wahnsinn noch einmal eine Runde weiter drehen.

Der Meister und die Muse

In der Zeitschrift «Bauwelt» wurde 1984 etwa eine Foto des Architekten Hans Poelzig publiziert. Er sitzt gemeinsam mit seinem Sohn und einigen anderen Herren, Zigarre rauchend und Bier trinkend, an einem Gartentisch und feiert das Richtfest seines Wohnhauses 1930 in Berlin-Charlottenburg, das seine Frau Marlene Poelzig entworfen und gebaut hat. Das Einzige, was man auf dem Bildausschnitt von ihr sieht, ist eine Hand.

Marlene Poelzig, falls dieser Name noch unbekannt sein sollte, traf den Architekten, als dieser noch mit einer anderen Frau verheiratet war, 1918 in Berlin. Schnell wurde die junge Bildhauerin in die Arbeit am Grossen Schauspielhaus einbezogen und entwarf später im gemeinsamen Atelier Grab- und Denkmäler und Bauten wie die Synagoge, die in der expressionistischen Filmstadt auftaucht, in der Paul Wegener 1920 «Der Golem, wie er in die Welt kam» drehte. Sie koordinierte Bauarbeiten im I.-G.-Farben-Hochhaus in Frankfurt am Main, im Einfamilienhaus der Werkbund-Ausstellung in Stuttgart. Kurzum: Marlene Poelzig, geborene Moeschke, war zum Zeitpunkt der Aufnahme keine unbekannte Muse. Trotzdem wurde sie aus dem Foto, das fünfzig Jahre später in der Zeitschrift «Bauwelt» publiziert wurde, herausgeschnitten.

Auf der Originalaufnahme, die die Kuratorinnen ausfindig machen konnten, sitzt Marlene Poelzig in weissem Mantel sogar am Kopf des Tisches und lächelt in die Kamera. «Hans Poelzigs Frau Marlene war Architektin», steht über dem Bildausschnitt, auf dem sie fehlt. «Der Meister hat sie machen lassen, das ist Liebe.» Am Ende wird der Meister selbst zitiert: «Mir ist ganz egal, was Ihr baut. Hauptsache Ihr legt das Lokusfenster so, dass ich beim Scheissen in den Grunewald sehen kann!»

Mir ist ganz egal, was Ihr baut. Hauptsache Ihr legt das Lokusfenster so, dass ich beim Scheissen in den Grunewald sehen kann!

Hell, yes. Frappierend an solchen Zitaten ist nicht die Misogynie – die kennt man in- und auswendig. Es ist der vulgäre Humor, mit dem sie transportiert wird. Er macht Sexismus bis heute salonfähig, obwohl der #Aufschrei mittlerweile im Minutentakt in die Welt getwittert wird. Wenigstens verzweifeln Mary Pepchinski und Christina Budde nicht an der Frage, was man noch alles tun muss, um diesen Horror zu beenden. Im Gegenteil. Sie suchen andere Mittel als Tweets, die in medialen Empörungswellen genauso schnell aufsteigen wie verebben. Auch wenn sie das Frauenghetto, wie gesagt, nicht abschaffen, arbeiten die Kuratorinnen doch Fall für Fall heraus, warum Architektinnen nur mehr als Randfigur in der Geschichte des Bauwesens auftauchen. Natürlich gibt es bereits Versuche, das zu verändern. Dennoch steht die Erarbeitung der Historie immer noch in den Kinderschuhen, ohne Wissenschaftlerinnen wie Mary Pepchinski würde sie wohl unbekannt bleiben.

Randfigur in der Geschichte des Bauwesens

Vorhersehbar sind vielleicht die Fittiche der Ehemänner, die die berufliche Laufbahn ihrer Frauen lenkten. Marlene Poelzig konnte nach dem Tod von Hans 1936 nicht mehr weiterarbeiten, sie war zu Beginn des Zweiten Weltkriegs alleinerziehend. Vorhersehbar sind wohl auch die Familienbande, die es etwa Victoria zu Bentheim ermöglichten, nach dem Ersten Weltkrieg ihr eigenes Fürstlich Bentheimsche Bauamt zu gründen und Baumassnahmen vor dem Kamin im hauseigenen Schloss zu diskutieren. Interessanter aber sind die politischen Voraussetzungen, die die Arbeit einiger Architektinnen beförderten.

Für Gerdy Troost beendete weder der Tod ihres Ehemannes Paul Troost im Jahr 1934 noch der Nationalsozialismus ihre Karriere. Sie führte das Büro weiter und damit auch die Aufträge aus, mit denen Hitler ihren Mann betraut hatte. Gerdy Troost reklamiert, unter anderem die alte Reichskanzlei in Berlin, Hitlers Wohnung in München und den Berghof am Obersalzberg eingerichtet zu haben. Im Gegensatz zu Albert Speer wurde sie nach dem Zweiten Weltkrieg nur als «Minderbelastete» verurteilt und konnte weiter als Innenarchitektin arbeiten. Die negative Prominenz, die mit Speers Namen behaftet ist, wurde ihr damit weitgehend erspart.

Auch Karola Bloch arbeitet im Auftrag eines Staates. Gemeinsam mit ihrem Mann kehrte sie nach dem Zweiten Weltkrieg zurück aus den USA nach Deutschland, weil ihr Mann, der Philosoph Ernst Bloch, an der Universität Leipzig lehren wollte. Sie fasste als Jüdin Fuss in der DDR und wurde für die Deutsche Bauakademie tätig. Bis zu 160 000 Kindergartenplätze sollten entstehen, damit die sogenannte Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewährleistet werden konnte. Bloch war massgeblich an der Entwicklung solcher Einrichtungen beteiligt, da ihr Mann jedoch zwangsemeritiert wurde, begleitete sie ihn in die Bundesrepublik und verlor darüber ihre Arbeit.

Architektur und Politik

Man muss immer aufpassen, die Politik eines Staates nicht im Namen der Gleichberechtigung zu verklären, was im Fall der DDR bisweilen geschehen kann. Während in Westdeutschland noch die Ehemänner darüber entschieden, ob ihre Frauen einen Führerschein machen oder erwerbstätig werden dürfen, war die Gleichstellung für die DDR immerhin Staatsräson. 1965 studierten im Osten 30, im Westen 10,5 Prozent Frauen Architektur. Dieses Verhältnis setzte sich bis zur Wende auch im Berufsfeld fort. Dennoch waren sowohl in der DDR als auch in der BRD Frauen- und Familienpolitik bis in die achtziger Jahre verbunden. Auch bleibt die Frage, was solche Zahlen eigentlich bedeuten.

Im Katalog und in der Ausstellung wird immer wieder darauf verwiesen, dass sich die «professionsimmanente männliche Dominanz» auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs auf die Lebensläufe ausgewirkt haben soll. Sei es, dass sich Architektinnen um Häuser kümmerten, die traditionell für die Frau und ihre Obhut bestimmt waren (Modellküchen, Inneneinrichtung, Kindergärten). Oder sie im Erfolgsschatten der Kollegen verschwanden (wie Lilly Reich, deren Name nicht so geläufig sein dürfte wie Mies van der Rohe). Eine Foto zeigt Gertrud Schille 1982 auf einer Baustelle in Wolfsburg, auf der ein Zeiss-Planetarium errichtet wird. Neben ihr liegt ein weisser Schutzhelm, ein paar Dutzend Männer stehen und sitzen um sie herum. «Männliche Dominanz» lässt sich an dieser Szene zwar nicht direkt ablesen, die Alleinstellung der Frau aber schon.

Gruppenharmonie

Ein Ziel dieser Ausstellung in Frankfurt am Main dürfte es gewesen sein, die Frauen Architekten aus der Isolation zu holen. Hier steht, jedenfalls räumlich betrachtet, keine der Frauen mehr alleine da. Das ist schön. Immerhin. Gerne wird Frauen ja auch unterstellt, dass sie sich gegenseitig das Leben zur Hölle machen. Was in der Gruppenharmonie nur leicht aus dem Blick gerät, ist, wie man merkt: die Architektur.

Zum Abschluss darf man deshalb noch einmal an die grossartige Merete Mattern erinnern, die hier ebenfalls ausgestellt und wie alle mit einem tollen Beitrag im Katalog vorgestellt wird. Nach ihrem Abschluss in Berlin bei Hans Scharoun nahm sie Mitte der sechziger Jahre an einem städtebaulichen Wettbewerb teil, der das schreckliche deutsche Nachkriegsaufbauwesen wenigstens in dem kleinen Städtchen Ratingen bei Düsseldorf beenden sollte.

Ihr Team reichte keine normierten, gesichtslosen Billigwohnungen und Wirtschaftswundershoppingmeilen ein, sondern eine Stadtlandschaft, die wie die Alpen aus der Erde herausbricht und sich dem Himmel zuwendet, eine organische Häuserwelt, in der Terrassen Fassaden und Türme Brücken ersetzen. Selbst die Zeitschrift «Bauwelt» organisierte eine publizistische Kampagne gegen die Wettbewerbsjury, die den Beitrag zwar auszeichnete, aber nicht favorisierte. Einer Sonderauszeichnung hafte, so polterte die Zeitschrift, «in den Köpfen der Seriösen immer der Ruch der Utopie an, der Utopie im Sinne des Spinnertums». Der Entwurf des Mattern-Teams scherte sich kaum um Grundrisse und Massanfertigung. Und gehört damit zu jenen aufregenden künstlerischen Visionen, die sich die meisten Architekten gar nicht mehr trauen zu denken, geschweige denn zu bauen.

Das Trauerspiel findet am Ende des Tages ja nicht im Museum statt, sondern auf dem Heimweg, auf der Strasse. Merete Mattern wollte sich von ihr abheben – ihre andere berühmte Utopie heisst «Fliegende Stadt». Hoffentlich ist sie ein Anlass, Anlauf zu nehmen und zukünftig Frauensammelgeschichten zugunsten des Spinnertums ruhen zu lassen. Letzteres wird nicht nur in Deutschland sagenhaft vermisst.