23. Mai 2001 | Süddeutsche Zeitung | Fernsehen, Rezension | Vera Brühne

Leben ist unverzeihlich

Reise in ein Land vor unserer Zeit: Hark Bohm hat mit Corinna Harfouch den Fall Vera Brühne verfilmt

Am 19. April 1960 wurden in einer Villa am Starnberger See die Leichen des Arztes Dr. Otto Praun und seiner Haushälterin gefunden, am 4.Juni 1962 wurden die so genannte Lebedame Vera Brühne und ihr mutmaßlicher Komplize Johann Ferbach zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Was und wie viel das eine mit dem anderen zu tun hat, hat damals wie kaum ein anderer Fall die deutsche Öffentlichkeit beschäftigt – und ist nun Gegenstand eines fast dreistündigen Zweiteilers, den Produzent Bernd Eichinger und Regisseur und Autor Hark Bohm für Sat1 gedreht haben. Und was immer die Figur Vera Brühne einst an Faszination gehabt haben mag, strahlt sie auch heute noch in der Verfilmung und in ihrer Interpretation durch die Schauspielerin Corinna Harfouch aus. Dass Frau Brühne am 17.April dieses Jahres im Alter von 91 Jahren verstorben ist, hat lediglich Erinnerungen aufgefrischt und dem Fernsehfilm zusätzliche Aktualität verliehen. So ist er eine Art Vermächtnis geworden, mit dem die alte Dame sicher nicht unglücklich gewesen wäre.

Es wäre müßig, hier nochmal den Fall auszubreiten, dessen Fakten das Gericht einst schon 22 Prozesstage beschäftigten und für die auch der Film zwei Abende braucht. Der Staatsanwalt sah es jedenfalls als erwiesen an, dass Vera Brühne den „ihr sexuell hörigen” Bekannten Ferbach dazu angestiftet habe, ihren Arbeitgeber und vermutlichen Geliebten umzubringen, so lange sie noch Alleinerbin der Millionenvilla an der spanischen Costa Brava war. Tatsache ist jedoch, dass es bei der Beweisaufnahme zu schier unvorstellbaren Schlampereien gekommen war, die unter normalen Umständen jede Verurteilung verhindert hätten; dass der Todeszeitpunkt, für den Vera Brühne ein höchst zweifelhaftes Alibi hatte, alles andere als erwiesen ist; und dass die Öffentlichkeit die Schuld der Angeklagten längst als erwiesen angesehen hatte, ehe das Gericht sein Urteil fällen konnte.

Gerade der letzte Punkt ist es, der Fall und Film so interessant macht. Der Rest ist sozusagen nur das Handwerk des Regisseurs, das Hark Bohm schon immer besser beherrschte, als das viele wahrhaben wollen. Die Indizien werden ausgebreitet, die verschiedenen Versionen in Szene gesetzt, getrieben von der Musik von Stephan Zacharias und getragen von famosen Schauspielern wie Harfouch, Uwe Ochsenknecht, Ulrich Noethen, Katja Flint, Udo Wachtveitl, Mavie Hörbiger, Fritz Wepper, Bernd Fischerauer und Hans-Werner Meyer. Bohm hat sich im übrigen, das hat er immer wieder betont, einfach an die Fakten gehalten, kann im Notfall alles belegen und zieht aus diesem Wissen um die Authentizität einen nicht unbeträchtlichen Reiz. Hinterher möchte man am liebsten die Originalbänder und Mitschriften studieren, um sich nochmal zu versichern, dass alles so gewesen ist – zu unglaublich sind die Verfahrensfehler, zu ungewohnt die Bilder, die von dieser Zeit und diesem Land entworfen werden. Im Grunde ist Vera Brühne die Dramatisierung eines noch viel spannenderen Dokumentarfilms, zu dem uns leider an den entscheidenden Stellen die Aufnahmen fehlen.

Man muss sich nur mal vergegenwärtigen, wie sich Deutschland Anfang der Sechziger Jahre im Kino präsentierte, welche Bilder wir zur Verfügung haben, wenn wir in der Rückschau versuchen, uns eine Vorstellung von jener Zeit zu machen. Die Antwort ist natürlich: keine. Zumindest nicht solche, in denen ein irgendwie geartetes Leben pulste. In Italien hatte es schon Ende der Fünfziger Fellinis Dolce Vita gegeben, in Frankreich Godards Außer Atem, nur in Deutschland fand sich nichts, was sich mit dieser atemberaubenden – und nachvollziehbaren – Modernität messen konnte. Wenn man versucht, sich vorzustellen, wie die Eltern einst gelebt haben mögen, gibt es keine Vorbilder, auf die man zurückgreifen könnte. Und wer glaubt, die Knef als Sünderin oder Nadja Tiller als Mädchen Rosemarie könnten einen Er- oder gar nur Ansatz bieten, hat vergessen, wie wahnsinnig altbacken diese Filme und die Welt, in der sie spielten, aussahen.

Und in dieses Imaginationsloch aus Adenauer-Typen und einer frühvergreisten Jugend, die offenbar nichts Eiligeres zu tun hatte, als es ihren alten Herren nachzumachen, bricht das Bild von Vera Brühne ein, dessen damals zwielichtige Anziehungskraft aus heutiger Sicht einen geradezu perversen Glamour besitzt. Eine sehr aufrechte, offenbar sehr auf ihre Erscheinung bedachte Dame im grauen Kostüm, sozusagen ein Adel von eigener Gnade; ein Gesicht, das verbissen am guten Aussehen festzuhalten versucht; dazu eine Frisur, die durch die dunkel nachwachsenden Haare unter der silberblonden Färbung besonders verwegen wirkt – was übrigens bei Corinna Harfouch aufs rein Platinblonde reduziert wurde, ohne dass das ihrer Aura wesentlich Abbruch täte, die sich aber trotzdem auch speist aus den immer wieder blitzartig eingestreuten Aufnahmen der Original-Brühne.

Man muss sich dabei immer wieder vor Augen halten, dass die Dame damals bereits fünfzig Jahre alt war und in dubiosen Verhältnissen oder Beziehungen lebte, die eine Frau wie sie irgendwann gerne hinter sich gelassen hätte. Das hat auch damals die Fantasie entzündet – und die selbstgerechte Empörung unter den Beobachtern geschürt, von denen schon Horváth schrieb: „Sie waren geil auf Katastrophen, von denen sie kein Kind bekommen konnten. Sie lagen mit dem Unglück anderer Leute im Bett.” Oder wie es Harfouch ausdrückt: „Sie war eine Person, die die geheimsten Fantasien entfacht, eine Projektionsfigur für den Wunsch, aus dem bürgerlichen Dasein auszubrechen. Genau aus diesem Grund wurde sie mit dieser Gnadenlosigkeit und Kälte behandelt: weil man an dieser Stelle eigentlich den Dämon in sich selbst bekämpft.” Schon der Ausdruck Lebedame sagt eigentlich alles: als sei das Leben selbst etwas Anrüchiges, Unanständiges, Unverzeihliches.

Solche Dramen, auch das sagt die Hauptdarstellerin, könne wohl nur Shakespeare oder eben das Leben selbst schreiben: persönliche Teilnahme, politische Verwicklungen und familiärer Verrat. Die Tragödie einer Frau, die gelernt hat, „mit einer gewissen kühlen Distanz ihre Wirkung zu berechnen und daraus Kapital zu schlagen”, und dann ausgerechnet von ihrer Tochter verraten wird, deren Erziehung auf tragische Weise auf die Mutter zurückfällt: „Ebenso wie die Vorbildwirkung, dass nämlich aus menschlichen Beziehungen Geld zu schlagen sein sollte.” Das war die wahre Schuld der Vera Brühne – und vermutlich ihre einzige.

Im Grunde ist Vera Brühne ein archäologisches Unternehmen. So wie Eichinger schon anhand von Rosemarie Nitribitt versucht hat, diese ferne Vergangenheit zu beleben, so ist auch Hark Bohms Film eine Reise in ein Land vor unserer Zeit. Und seine Leistung besteht darin, hinter den versteinerten Fossilien einen Anschein von Leben zu erwecken.

(Teil eins am Donnerstag, Teil zwei am Freitag, jeweils um 20.15 Uhr bei Sat1. Siehe auch Münchner Kultur.)

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