13. Januar 2005 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Hautnah

Leuchtquartettspieler

Liebesfunkeln: Nichols verfilmt Marbers Drama HAUTNAH

Am Anfang kann man sehen, wie es funkt zwischen zwei Menschen. Zwei Passanten, die sich in Zeitlupe aufeinander zubewegen und damit um sie herum alles zum Erliegen bringen. Und weil die junge Frau Amerikanerin ist, wird sie im Londoner Linksverkehr von einem Auto angefahren. Der Mann eilt hinzu, sie schlägt die Augen auf und flüstert: „Hallo, Fremder!“

Das ist ein guter Satz, vor allem im Kino, und damit ist eigentlich schon alles gesagt: In HAUTNAH sehnen sich alle nach der Liebe, aber sie werden doch immer Fremde bleiben. Denn bei Mike Nichols geht es nicht nur um die Liebe, sondern vor allem um das, was von ihr übrigbleibt. In seinem neuen Film läßt er zum dritten Mal in seiner Karriere zwei Paare aufeinander los, zeigt sie in allen möglichen Konstellationen, zu zweit, zu dritt, zu viert, und wieder ist die Liebe ein einziges Schlachtfeld, auf dem es eigentlich nur Besiegte gibt.

In WER HAT ANGST VOR VIRGINIA WOOLF? (1967) bekriegten sich Elizabeth Taylor und Richard Burton so ausdauernd, bis ihre Gäste George Segal und Sandy Dennis erkennen mußten, welche Zukunft auch ihrer jungen Ehe zwangsläufig beschieden sein würde. Und in CARNAL KNOWLEDGE – DIE KUNST ZU LIEBEN (1971) gingen Jack Nicholson und Art Garfunkel ihren Pennälerphantasien auch im Mannesalter so unbeirrt nach, daß sie ihre Frauen Candice Bergen und Ann-Margret unweigerlich in die Flucht, den Alkohol oder den Selbstmordversuch trieben. Stets gelang es Nichols dabei, die Paarbeziehungen auf der Höhe der Zeit zu verhandeln. Seine Filme gaben sozusagen den aktuellen Stand der Geschlechterdebatte wieder und artikulierten unverblümt, was in entsprechenden Frauenzeitschriften wohl gemeint war, aber so nicht geschrieben werden durfte. Aus heutiger Sicht wirken beide Filme deshalb etwas thesenhaft und bedeutungsschwer. Aber vielleicht liegt das auch an den theatralischen Vorgaben, die aus jeder Beziehung einen Dampfkochtopf machen, der so lange erhitzt wird, bis er allen um die Ohren fliegt.

Wenn dating movies dazu gut sind, die Hoffnungen paarungswilliger Zuschauer zu bekräftigen, dann waren die Filme von Nichols geeignet, jeder kriselnden Ehe den Rest zu geben. Sie hielten sich nicht lange mit dem Alltag der Liebe auf, sondern setzten gleich dort ein, wo er allen Beteiligten längst zum Hals raushängt. An jenem Punkt, da keine Rücksichten mehr genommen werden, sondern die Dinge beim Namen genannt werden. Die Filme vermittelten durch die Freizügigkeit, mit der ihre Stars gewisse Worte in den Mund nahmen, den Eindruck, als würden sie einen schonungsloseren, ungeschönten Blick unter die Oberfläche des Geschlechterkampfes gewähren. Und wenn man so will, dann liegt auch in HAUTNAH ein gewisser Reiz darin, ausgerechnet Julia Roberts dabei zuzuhören, wie sie die geschmacklichen Unterschiede des Spermas von Jude Law und Clive Owen diskutiert. Dabei ist sie natürlich keinen Deut weniger entzückend als sonst, aber sie wirkt ein wenig wie das brave Mädchen, das auch mal schmutzige Worte in den Mund nimmt, um es allen zu zeigen. Oder eben wie ein Star, dem sein eigenes Image auf die Nerven geht.

Nichols hat Patrick Marbers Theaterstück in ein stahlgrau kühles London der geräumigen Lofts und schicken Fabriketagen verpflanzt. In diesem Rahmen versammelt er einen erfolglosen Schriftsteller (Jude Law), der mit Nachrufen seinen Lebensunterhalt verdient; eine Fotografin (Julia Roberts), die mit großformatigen Porträts Erfolg hat; eine ehemalige Stripperin (Natalie Portman), die sich ein neues Leben erfinden will; und einen Dermatologen (Clive Owen), der über einen Sex-Chat im Internet ins Spiel kommt. Man sieht bereits am Personal, wie kühl die Bedeutungsebenen kalkuliert sind, wie alle vier beruflich eine Nähe zu anderen Menschen simulieren – den Verstorbenen, den Porträtierten, den Gaffern, den Patienten -, die unweigerlich im Kontrast steht zu jener echten Nähe, welche für die Beziehungen eingefordert wird. Aber allem Kalkül zum Trotz schafft es Nichols, der Konstellation immer wieder Momente abzugewinnen, in denen der Film seine Stars zum Leuchten bringt, auch oder gerade weil ihre Dialoge so konstruiert wirken. In jeder Szene gibt es den einen Moment, in dem etwas so funkelt, daß es alles überstrahlt, was nicht stimmig wirkt, ein Kuß hier, ein Lächeln da, eine Träne dort.

Die cleverste Idee des Films liegt darin, daß er nicht nur alles ausspart, was zwischen Verlieben und Betrügen passiert, sondern daß er diese Zeitsprünge auch noch mutwillig kaschiert. Gerade haben sich also der Schriftsteller und die Stripperin auf der Straße kennengelernt, da steht er schon im Studio der Fotografin, mit der er sie betrügen wird. Es dauert einige Momente, bis man begriffen hat, wieviel Zeit inzwischen vergangen sein muß. Der Roman, von dem der Schriftsteller zuvor nur gesprochen hat, ist mittlerweile geschrieben; die Liebe, die vorher nur Verheißung war, ist offenbar Alltag geworden; der Sex, dem erst alles entgegenfieberte, hat seinen Reiz schon wieder verloren. Diese immer wiederkehrenden Momente der Orientierungslosigkeit, in denen die Imagination zwischen Gewesenem und Kommendem hin- und herschwappt, halten die Konstruktion am Leben. Ein steter Hunger nach dem Zauber des Verliebens scheint das Quartett anzutreiben – und ein Zwang, alles baldmöglichst schon wieder in Frage zu stellen. Die Monate oder gar Jahre, die unterdessen vergehen, sind dem Film nicht der Rede wert, so wenig wie Freunde, Familie oder Beruf. Seine Helden scheinen nur Sex im Kopf zu haben und sind bereit, dafür jeden Verrat zu begehen. So eilt HAUTNAH von Höhepunkt zu Höhepunkt und von Tiefpunkt zu Tiefpunkt. Die höchsten und niedrigsten Gefühle geben sich sozusagen die Klinke in die Hand. Bei der Nähe, von der HAUTNAH spricht, kann es einem jedenfalls ganz schön kalt den Rücken herunterlaufen.

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