24. März 2000 | Süddeutsche Zeitung | Porträt | Wim Wenders

Botschafter ohne festen Wohnsitz

Er findet Themen und Anerkennung längst in der Ferne – ein Film aus Cuba bringt ihn nun dem Preis der Preise ganz nah

Paris, im März – Wim Wenders war schon einmal bei einer Oscar-Verleihung, 1979 war das, als er für Coppola in Hollywood an dem Film Hammett arbeitete. Wer damals gewonnen hat, oder welchen Stars er begegnet ist, weiß er nicht mehr. Nur an eine Szene kann er sich noch erinnern. Wie er mit einem hohen Studio-Angestellten an einer Balustrade stand, der auf die Menge hinab sah und sagte: „Sehen Sie sich all diese Frauen an. Sie können jede von ihnen haben – Sie müssen nur mit dem Finger auf sie zeigen. ” In gewisser Weise ist in dieser Bemerkung alles drin: Hollywood, Arroganz, Macht, Sex – all das, was sich in jener schönen Bemerkung zusammenfassen lässt, Filmemachen bedeute vor allem, mit schönen Frauen schöne Dinge machen.

Wenders erinnert sich an die Szene mit einer Mischung aus Verständnislosigkeit und Schaudern: „Ich war von dieser so schnöden Bemerkung doch auch sehr beeindruckt. Der Mann meinte es aber ganz ernst, da war gar keine Ironie dabei. Das war nur eine ganz versonnene Äußerung eines Machtpolitikers. Das ist mir als Einziges in Erinnerung geblieben. ”

1979, das war die Zeit, als der Neue Deutsche Film anfing, wirklich Weltruf zu genießen, sofern man die Auszeichnungen dafür als Barometer nehmen will. Schlöndorff gewann für DIE BLECHTROMMEL einen Oscar, Werner Herzog wurde in Cannes mit FITZCARRALDO für die beste Regie ausgezeichnet, Rainer Werner Fassbinders SEHNSUCHT DER VERONIKA VOSS bekam einen Preis in Berlin, Margarethe von Trottas BLEIERNE ZEIT in Venedig – und Wim Wenders gewann 1982 in Venedig einen Goldenen Löwen für DER STAND DER DINGE und 1984 in Cannes eine Goldene Palme für Paris, Texas. Seither herrscht weitgehend Flaute, von vereinzelten Oscar-Nominierungen für SCHTONK! oder JENSEITS DER STILLE und Festivalpreisen für deutsche Schauspieler in Berlin und Venedig mal abgesehen. Da kann man schon froh sein, wenn mal wieder jemand für einen Oscar nominiert ist – und sei es nur in der Kategorie Bester Dokumentarfilm.

Nun kann man nicht behaupten, dass es je erklärtes Ziel des deutschen Autorenfilms im Allgemeinen – oder das von Wim Wenders im Besonderen – gewesen wäre, im Gerangel um den begehrtesten aller Filmpreise mitzumischen. Ganz im Gegenteil: Hollywoods falscher Glanz war eher der natürliche Feind eines Erzählens, das auf persönlichen Ausdruck aus war und auf Geduld und Intelligenz des Zuschauers baute. Allerdings ist die hiesige Variante des „künstlerisch wertvollen Films” etwas aus der Mode – um nicht zu sagen: in Verruf – gekommen. Und auffällig oft konzentriert sich der Unmut ausgerechnet auf Wenders, als habe er die Geduld des Publikums mehr als andere strapaziert. Dabei hat sich in seinen Arbeiten die Innerlichkeit immer auch gepaart mit einer Weltläufigkeit, von der andere Regisseure nur träumen können. Und sei es nur, indem sein nun nominierter BUENA VISTA SOCIAL CLUB von einem Haufen alter Leute handelt, die auf Cuba immer noch Musik machen.

Der 54-jährige gebürtige Düsseldorfer lässt sich von den Oscars jedenfalls nicht verrückt machen. Er weiß noch nicht einmal, wie er nächsten Sonntag zur Verleihung hinkommt. Das Shrine Auditorium liegt in einem Teil von Los Angeles, in den man sonst keinen Fuß setzt. Klar ist nur, dass die Exportunion und das Goethe-Institut am Samstag in Lion Feuchtwangers einstigem kalifornischen Wohnsitz Villa Aurora einen Empfang für das Team von BUENA VISTA SOCIAL CLUB veranstalten werden. Man hat von dort einen schönen Blick auf den Pazifik, aber den ist Wenders nach vier Jahren Los Angeles auch schon gewohnt.

Wo seine Heimat ist

So verbringt er die Wochen vorher in Paris, wo er seinen letzten Film MILLION DOLLAR HOTEL dem französischen Publikum vorstellt, und in Nordrhein-Westfalen, wo er seinen nächsten Film VIEL PASSIERT dreht, einen Dokuspielfilm über die Tonfilm-Tournee der Mundart-Band BAP. Wenn man ihn in Paris so sieht, wie er im Kino Max Linder nach dem Film auf Französisch mit dem Publikum diskutiert – mit seiner bekannt bedächtigen Stimme, aber immer zum Scherzen aufgelegt –, dann fragt man sich schon, ob er im Ausland nicht vielleicht mehr zu Hause ist als in Deutschland – ob seine wahre Heimat nicht vielleicht das Kino selbst ist.

„In Deutschland”, sagt Wenders hinterher beim Essen, „habe ich es seit HIMMEL ÜBER BERLIN nicht einfach gehabt. Ich will mich nicht beklagen, aber es war eigentlich nie ein Heimspiel. Oder ich hatte bei meinen Filmen zumindest keinen Heimvorteil. In Frankreich ist das anders, da habe ich auch ein größeres Publikum. ” Er sagt das ohne Ranküne, nicht wie jemand, der noch eine Rechnung offen hat. Muss er auch nicht. Schließlich war sein MILLION DOLLAR HOTEL Eröffnungsfilm der 50. Berliner Filmfestspiele im Februar und wurde überwiegend respektvoll aufgenommen, auch wenn er dann im Kino hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist. Und bei allen Schwierigkeiten, die Wenders und das deutsche Publikum miteinander haben mögen: Dass ein Deutscher, der im HIMMEL ÜBER BERLIN einst den verschwundenen Potsdamer Platz thematisiert hat, das erste Festival am neuen Potsdamer Platz eröffnen darf, ist immer noch nahe liegender als die Tatsache, dass Wenders 1997 auch beim 50. Jubiläum des Festivals von Cannes mit seinem Film END OF VIOLENCE den Galaabend bestreiten durfte – und das bei den gerade in Kinodingen stets patriotisch gesinnten Franzosen. Der Mann ist ein Aushängeschild fürs deutsche Kino, vielleicht für deutsche Kultur überhaupt – aber in Deutschland wird das einfach weniger wahrgenommen. Als hätten wir Botschafter in dieser Sache im Überfluss.

Im Englischen gewandter

Wenders selbst ist in der Sache eher pragmatisch: „Früher hieß das Jungfilmer, heute Autorenfilmer, und beide Male ist es als Schimpfwort gemeint, out of time, out of date. Aber wer macht denn in Deutschland noch allen Ernstes Autorenfilme? Der Begriff wird halt benutzt für jemanden, der auf altmodische Art Filme macht. Das wirft aber nur ein trauriges Licht auf die Leute, Filmkritiker vor allem, die sich noch so ausdrücken und an denen die Zeit wirklich vorbei gegangen ist. In Amerika spricht man von den europäischen Autoren mit einer großen Verneigung, und im Grunde ist das dortige unabhängige Kino eine Art, das europäische Autorenkino wieder zu erfinden. Ich selbst habe zuletzt eigentlich alles andere gemacht als Autorenfilme – nämlich Filme im Kollektiv. ”

Tatsächlich meint Autorenfilm historisch die Handschrift jener Regisseure, die sich auch in unpersönlichsten Produktionsbedingungen durchsetzte, so wie sie die französischen Kritiker nach dem Krieg bei Hitchcock, Hawks oder Ford gefunden haben. Kollektiv oder nicht – einen Wenders-Film erkennt man, wie man so sagt, zehn Kilometer gegen den Wind. Es gibt darin stets jenen Ernst, die Dinge der Identität und Wahrnehmung betreffend, der vom Zuschauer eine gewisse Geduld erfordert. Und merkwürdigerweise sind die Leute immer weniger bereit, sie aufzubringen. Aber Wenders ist das im Grunde egal. Er wünscht es sich gern anders, aber ist mobil genug, um immer dort Filme zu machen, wo er gerade gefragt ist.

Vielleicht ist sein Geheimnis wirklich, dass seine Heimat immer das Kino selbst gewesen ist. Nach seinen ersten Erfolgen wie IM LAUF DER ZEIT, ALICE IN DEN STÄDTEN und DER AMERIKANISCHE FREUND ist er 1978 für Coppola nach San Francisco gezogen, um aus dem Leben des Schriftstellers Dashiell Hammett einen Film zu machen. An den Ansprüchen des Möchtegern-Moguls Coppola ist er zwar gescheitert, aber er hat dieses Scheitern in dem Film DER STAND DER DINGE verarbeitet. Man muss gar nicht seine Karriere im Detail nacherzählen, um zu begreifen, dass seine Karriere immer auch vom Gespür für Zusammenarbeit lebte.

Seine Filme schlugen stets Wurzeln in anderen Künsten. In Paris, Texas war das die Musik von Ry Cooder, in Himmel über Berlin die Poesie von Peter Handke, in Aufzeichnungen zu Kleidern und Städten war das der Modemacher Yohji Yamamoto, in Jenseits der Wolken der Filmemacher Michelangelo Antonioni, in Lisbon Story die portugiesische Band Madredeus, in Million Dollar Hotel der U2-Musiker Bono, in Buena Vista Social Club waren das die cubanischen Musiker. Und das sind nur die offenkundigsten Querverbindungen zwischen seinem Kino und anderen Künsten, für die er als Vermittler eintritt. Eine bewundernswerte Mischung aus Selbstbewusstsein und Demut spiegelt sich da, wenn er über dieses Netzwerk spricht, das seine Filme spannen: Der Bono und der Sam und der Ry und der Ibrahim und all die anderen werden bei ihm schon durch den gerne vorangestellten Artikel zu Leuten, die jedem ein Begriff sein müssen.

Wer Wenders in einer seiner wortkargeren Phasen erlebt hat, bei Interviews nach seinem Scheitern in Amerika oder nach der mühsamen Zusammenarbeit mit dem halbseitig gelähmten Kollegen Antonioni, der mag sich wundern, wie eigentlich die Kommunikation mit all diesen Leuten zu Stande kommt. Aber es gibt genügend Gewährsleute, die bestätigen, dass Wenders im Englischen ungleich gewandter und entspannter ist. Auf Englisch, sagt er auch selbst, „gelingt mir beim Schreiben und Reden die Lockerheit viel besser. Da hat man allein aus der Grammatik heraus andere Möglichkeiten. ”
Im Moment hat Wenders jedoch augenscheinlich eine seiner lockereren Phasen und kann ganz entspannt über seine Oscar-Chancen reden. Die anderen Kandidaten hat er nicht gesehen, aber er weiß mittlerweile, dass die Tatsache, dass Buena Vista Social Club als einziger der fünf nominierten Filme im Kino gelaufen ist, nicht unbedingt ein Vorteil ist. Theoretisch könnten zwar alle 5000 Academy-Mitglieder über die Dokumentarfilme abstimmen, praktisch dürfen das in dieser Kategorie aber nur diejenigen, die auch belegen können, alle fünf Kandidaten gesehen zu haben: „Und das sind alles alte Leute, weil die Jüngeren gar keine Zeit haben, sich alle Kandidaten anzusehen. Ich habe einen Freund, der letzte Woche bei zwei dieser Vorführungen war und gesagt hat, er sei mit Abstand der Jüngste gewesen – und er ist fünfzig. Am Ende sind es also nur 100 bis 200 Leute, die ihre Stimmen abgeben. Und wenn es dann beim Oscar um zehn, zwanzig Stimmen geht, ist es letztlich eine Lobby-Geschichte. ”

Der prügelnde Fassbinder
Wer ist noch nominiert? Ein Film über die Geigerin Nadja Salerno-Sonnenberg (Speaking in Strings), einer über den blinden Blues-Sänger Paul Pena (Genghis Blues), einer über eine Boxer-Schule in Brooklyn (On the Ropes) und einer über das Olympia-Attentat 1972 in München (One Day in September). Letzterer ist wahrscheinlich der schärfste Konkurrent; von dessen Produzent Arthur Cohn wurde schon mal behauptet, er klappere mit einem Bus die Altersheime in den Hollywood Hills persönlich ab, um die Leute zur Abstimmung zu schaffen. Andererseits haben sich bei einer Umfrage der Zeitschrift Entertainment weekly 63 Prozent der Leser für Buena Vista Social Club entschieden – eine so klare Mehrheit gibt es in keiner anderen Kategorie. Nur gehen bei der Academy die Uhren oft genug anders.

Wenders wird also am Sonntag wie üblich gegen acht Uhr aufstehen, wird eine Stunde lang durch die Hills joggen, ohne jemandem zu begegnen. Und irgendwann nachmittags wird er sich mit seiner Frau Donata, seinem Produzenten Ulrich Felsberg und seinem Musikerfreund Ry Cooder aufmachen zum Shrine Auditorium. Er wird es überleben, wenn er nicht gewinnt – schließlich ist dies die Veranstaltung der Studio-Typen, die mit dem Finger auf Frauen zeigen. Er wird sich aber sicher auch an jemanden erinnern, der 1979 auch dabei war: „Fassbinder war da, und wir haben uns in den Pausen immer in den Gängen getroffen und uns zugeraunzt, wie wir das alles finden. Und zwischendurch sagte er zu mir: ,Ich habe gehört, du hast hier so Probleme. Wenn du willst, musst du nur auf jemanden zeigen. Ich verprügel’ jeden, den du willst!‘ Er meinte das ganz im Ernst. Wie der Studiotyp das mit den Frauen. Rainer war bereit, sich für die deutschen Autoren zu prügeln. Er war an diesem Abend in wirklich sehr streitbarer Laune. Später hat er sich dann auch tatsächlich mit jemandem in die Wolle gekriegt, und es flogen auch Fäuste. Ich habe aber vergessen, worum es ging. ”

Fassbinder lebt nicht mehr. Und es gibt sicher keinen mehr, der sich für die deutschen Autorenfilmer noch prügeln würde. Aber Wenders kommt auch so ganz gut klar. „Autorenfilmer? Ich habe zuletzt alles andere gemacht als Autorenfilme”: Wim Wenders, der für Buena Vista Social Club nominiert ist.

Reaktionen:

Verminderte Wahrnehmung Leserbrief zu "Wim Wenders – Botschafter ohne festen Wohnsitz" / SZ vom 24. März Michael Althen nennt in seinem Artikel zur Oscar-Nominierung von „Buena Vista Social Club” ganz zu Recht Wim Wenders „ein Aushängeschild” fürs deutsche Kino und für deutsche Kultur. Und er beklagt, dies werde in Deutschland „einfach weniger wahrgenommen”. Da hat der Mann Recht. In seinem Artikel führt er Ausnahmen der internationalen Flaute deutscher Filme auf und nimmt einfach nicht wahr, dass mein Film „Das schreckliche Mädchen” 1991 sowohl für den Oscar wie auch für den Golden Globe nominiert war. Er nimmt einfach nicht wahr, dass ich für „Das schreckliche Mädchen” den Berliner Regie-Bären bekommen habe und den New York Critic Award und den British Academy Award, um nur die ganz großen Auszeichnungen zu erwähnen. Schon damals hat die Süddeutsche Zeitung diese Nominierungen und internationalen Filmpreise einfach weniger wahrgenommen. Und als Roberto Begnini für seinen Film auf dem Filmfestival Jerusalem einen Hauptpreis bekam, wurde das in den Süddeutschen und in anderen deutschen Feuilletons ausführlich berichtet. Als ich für „Mutter’s Courage” in Jerusalem ebenfalls einen Hauptpreis bekam, wurde das einfach weniger wahrgenommen. So ist das eben in Deutschland. Da hat der Mann Recht. DR. MICHAEL VERHOEVEN Süddeutsche Zeitung, 06. April 2000

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