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22. November 1995 | Süddeutsche Zeitung | Events | Althen als Festival-Juror

Wie sich das Leben anfühlt

Heute beginnt das erste Festival mit Filmen über Behinderte

Autor: Susan Vahabzadeh

Burns hat sich dem Sammeln von Strafzetteln verschrieben. Ohne Auto, sagt er, könnte er nicht sein. Ohne Verkehrsregeln hingegen könnte er ganz gut auskommen: Er ist, sozusagen, ein Meister der Geschwindigkeitsübertretung. Damit überwindet er, daß er von sich aus – rein körperlich betrachtet – nicht besonders mobil ist. Er wurde mit offenem Rückenmark geboren, er hat ständig Schmerzen, das Laufen fällt ihm schwer. ‚Deshalb‘, so heißt’s im Programm zum Kurzfilmfestival Wie wir leben, ‚ist er Komiker.‘ Kann schon sein; für Burns ist die Tatsache, daß er ausgerechnet als Stand-up-Comedian arbeitet, allemal eine Pointe wert. Der amerikanische Filmemacher Ron Ward, seit langem mit Burns befreundet, hat ihm ein Porträt gewidmet, das strotzt von der Lust aufs Leben (morgen, 21 Uhr).

Ein kleines Fest mit Filmen über Behinderte, und darüber, wie schwer das Leben manchmal ist und wieviel Spaß es trotzdem machen kann, veranstaltet die ‚Arbeitsgemeinschaft Behinderte in den Medien‘ von heute an. Drei Tage lang werden jeweils um 18 Uhr und um 21 Uhr im Filmmusem Programme mit Kurzfilmen gezeigt, die das Leben so feiern, wie es eben ist.

Wie wir leben findet heuer zum ersten Mal in München statt. Dabei war der Ansturm enorm: 230 Filme aus 28 Ländern wurden eingereicht, 28 von ihnen wurden ausgesucht für den Wettbewerb und sind im Filmmuseum zu sehen. Alle Kontinente sind vertreten, wie Festivalleiter Karl-Heinz Gruber nicht ohne Stolz verkündet. Die Jury, der unter anderem der Schauspieler Peter Radtke, der Regisseur Michael Verhoeven und SZ-Kritiker Michael Althen angehören, wird drei Preise vergeben, die am Samstagabend von Senta Berger im Café im Stadtmuseum übergeben werden. Die meisten Filmemacher sind Nichtbehinderte, aber eben nicht alle: Die 17jährige Amerikanerin Madeline Figueroa beispielsweise hat in ihrem Animationsfilm Hospital Dream, der von einem Mädchen handelt, dessen Bein amputiert wird, die eigene Behinderung verarbeitet (24. November, 21 Uhr).

Andere Filme entstanden in Zusammenarbeit mit Behinderten, wie A for Autism (heute, 21 Uhr) des Engländers Tim Webb. Er hat für seinen Film Zeichnungen, Musik und Aussagen von Autisten zusammenmontiert; wenn einer im Hintergrund erzählt, wie früher, als es ihm noch schlechter ging, Geräusche und Stimmen zu einem undurchdringlichen Teppich wurden und ihn das immer nervöser werden ließ, schafft Webb es, das sichtbar und hörbar zu machen. Und das ist vielleicht das Schönste, was ein Film manchmal kann: Ein bißchen etwas davon vermitteln, wie sich das Leben für andere anfühlt.
(Das vollständige Programm ist im Filmmuseum erhältlich).

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