18. November 1996 | Literatur, Rezension | The Church of John F. Kennedy

Särge und Spelunken

Vorspann: Auf den Spuren deutscher Geschichte durch die USA: Dem Münchner Pop-Literaten Thomas Meinecke ist ein kurioses Romandebüt gelungen.

Das ist mal ein starker Titel für einen deutschen Roman: „The Church of John F. Kennedy“ heißt Thomas Meineckes jüngstes Werk. Da aber die gleichnamige Sekte, die den ermordeten Präsidenten als abermals gestorbenen Erlöser verehrt, im Buch eine eher untergeordnete Rolle spielt, stellt sich doch die Frage, was der Autor damit sagen will: Ist ihm die ganze Welt nur noch eine Sekte, die den Ikonen von Pop und Politik huldigt? Oder will er einfach ein cooler Hund sein, der im globalen Dorf seine Duftmarke hinterläßt? Die Antwort bleibt letztlich so ungewiß wie die wahre Identität von Kennedys Mörder.

Meinecke, 41, hat sich als Autor mit Erzählungsbänden wie „Mit der Kirche ums Dorf“ und als Musiker bei der „Freiwilligen Selbstkontrolle“ hervorgetan und arbeitet als Diskjockey beim Radio. So wie sich DJs ihr Material anverwandeln, so macht er es als Romancier auch. Sein Romandebüt ist etwa so kurios wie die Begeisterung des deutschstämmigen US-Stars Beck für den deutschsprachigen Sänger Heino.

Dabei ist es auf den ersten Blick nicht so kompliziert: In den beiden Jahren nach dem Fall der Berliner Mauer fährt der Mannheimer Wenzel Assmann mit Hawaii-Gitarre und 100 westdeutschen Telefonbüchern in einem Chevrolet durch den Süden der USA, um nach Zeugnissen deutscher Siedler zu forschen. Die findet er reichlich. Eine platonische Freundin hält ihn telefonisch über die Entwicklungen in der Heimat auf dem laufenden, eine andere Gefährtin kümmert sich vor Ort um seine übrigen Bedürfnisse. Meineckes Held führt also eine durchaus lebensnahe Existenz, aber wenn er seiner Begleiterin wieder über „die Wiedervereinigung als tragischer Schub in der subjektlosen Krise jener vom Marktprozeß des warenproduzierenden Systems blind geschaffenen kreditären Welt“ referiert, ruft sie mit Recht „Have mercy“.

Der Autor kennt jedoch nur insofern Gnade, als er solche ironisch getönten, aber ernstgemeinten Diskurse durchsetzt mit ungleich packenderen Exkursen zu dem Südstaaten-Senator Huey P. Long, dem Bürgerkriegs-Zeugen Walt Whitman oder zu den Mitgliedern der Amish-Sekte.

Mitunter befällt ihn „eine enorme Lust auf die Berge und Lieder des Blaugraslandes“. Doch Meinecke unterläßt es, die Heimat der Bluegrass-Musik mit derselben Lust zu schildern. Es ist eher so, als würde ihm immer wieder der Blick verstellt, entweder von vorgefertigten Bildern oder vom vorlauten Personal. Die Landschaften scheinen nur durch, lassen Schemen erkennen – es ist, als betrachte man Fische unter der Wasseroberfläche.

Vielleicht tauchen Meinecke und sein Held deshalb so versessen hinab zu den entlegensten Winkeln der Geschichte dieses Landes; getrieben von der Hoffnung, die historischen Zeugnisse würden einen unbefangeneren Blick auf Amerika erlauben. Tatsächlich entsteht dadurch eine untergründige Topographie, eine Art von Parallel-Universum, das die Wirklichkeit nachäfft wie der Netzplan einer U-Bahn die oberirdische Stadt.

So stürzen sich die beiden auf „aufschlußreiche Marginalien“ wie den Sarg-Katalog eines Beerdigungsunternehmers namens Jacob Schoen oder die Weinkarte einer Spelunke, „welche sich in den Achtzehnhundertfünfzigern Das Hambacher Schloß genannt hatte“. Wie manche Forscher noch in den geringsten Wesen den göttlichen Plan entdecken wollten, so scheint auch Assmann nach Spuren zu suchen, die ihm seine Identität verdeutlichen können. Er wird zum Kartographen deutscher Wechselfälle, der sich auf die Echos, die aus Gegenwart und Vergangenheit zu ihm dringen, seinen Reim zu machen versucht.

Meineckes Blick auf Deutschland ist mehrfach gebrochen. Doch im Gegenlicht des amerikanischen Traums zeichnet sich besser ab, was es bedeutet, deutsch zu sein. So entsteht aus lauter Fußnoten zur deutschen Geschichte am Ende doch ein Roman. Und wie es sich für einen ordentlichen Diskjockey gehört, der nicht immer dieselben Platten auflegen will: Er pfeift auf die deutsche Gegenwart – und macht gerade dadurch ihre Melodie hörbar.

THOMAS MEINECKE: „The Church of John F. Kennedy“. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main; 248 Seiten; 19,80 Mark.

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