15. September 1998 | Süddeutsche Zeitung | Leben, Literatur, Rezension | Starr Report

Oral History

Der Teufel und Miss Lewinsky

Das Leben sei ein Roman, behauptete ein französischer Filmtitel vor Jahren, und das stimmt schon allein deswegen, weil alles, sobald es erzählt wird, einen fiktiven Charakter annimmt. Die Sprache ist eben kein besonders taugliches Instrument, wenn es darum geht, die Wirklichkeit in den Griff zu kriegen – die Wahrheit schlüpft ihr immer wieder durch die Finger. Der Rest ist immer auf die ein oder andere Weise Fiktion.

Kenneth Starr war sich des Problems offenbar bewußt und hat gleich einen Autor mit der Darstellung seines Falles betraut. Jener Stephen Bates ist eigentlich Rechtsanwalt, wie seine Kollegen John Grisham oder Scott Turow – deren Bestseller ihre Spannung ja auch nicht zuletzt von den Feinheiten des amerikanischen Rechtswesens, von seinen Verfahrensweisen und Winkelzügen beziehen. Wo ihre Romane mit genauen Orts-, Zeit- und Personenangaben Authentizität vorspiegeln, da geht Bates’ Roman den umgekehrten Weg, aus der Welt der vorgegebenen Fakten ins Reich der Fiktion. Es fehlt nur noch der Hinweis unterm Vorspann, jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen sei rein zufällig.

Schon die Vorstellung des Personals erinnert an Theaterstücke, in denen ebenfalls die dramatis personae aufgelistet werden, um ihre Einbettung ins Geschehen dann besser überblicken zu können: Söhne des Königs, Brüder des Königs, Lords und anderes Gefolge, zwei Edelleute, ein Herold. Fehlt im „Starr Report” eigentlich nur noch der Narr. Vielleicht so wie in „King Lear”, 3. Akt, 4. Szene: „Ein Leintuch hat er behalten, sonst müßten wir hier alle schamrot werden. ”

We had been all shamed, in der Tat, aber gelesen hat es doch jeder. Wer jedoch glaubt, das Werk habe bestenfalls die literarische Qualität eines Pornos, täuscht sich natürlich. Am Computer landet man mit den einschlägigen Suchbegriffen zwar schnell bei den pikanten Stellen dieser oral history, doch genauso schnell wird klar, daß das Werk seine wahre Spannung eher aus der Darstellung dessen bezieht, was um die verhinderten Höhepunkte herum passiert: die Annäherung, die Telephonate, die Geschenke, kurz: der Alltag – wie beiläufig oder banal auch immer die Schilderung daherkommen mag.
Gerade die genaue Verankerung in der sogenannten Wirklichkeit, die penetrante Wiederkehr der immergleichen Formulierungen und Vorgänge schafft einen Sog, dem man sich schwer entziehen kann. Eine Zwangsläufigkeit ist da am Werk, welche die Geschichte unbarmherzig ihrem Ende entgegentreibt. Nicht nur Narren würden das Schicksal nennen, wie sich der eine in seinen Begierden und die andere in ihren Kleinmädchenambitionen verstrickt.

Daß das ganze traurige Realität sein soll, nimmt der Erzählung nichts von ihrem literarischen Charakter. Gerade in der amerikanischen Literatur ist die sogenannte faction, die Vermischung von Fakten und Fiktion, eine beliebte und angesehene Form. Nicht nur, weil sie darauf baut, daß das, was der Leser für wahr hält, der Geschichte mehr Gewicht verleiht. Sondern weil sie wie jede Literatur auch davon lebt, daß der Leser die in jeder Erzählung entstehenden Lücken selbst ausfüllt: mit Einbildung, Erfahrung oder anderen Erkenntnissen. So lassen sich jedenfalls spielend die Niederungen dieser Affäre überbrücken.

Für eine Rezension ist es indes immer noch zu früh. Dieser Roman ist ja auch eher ein work in progress – der dritte Akt fehlt noch.

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