12. Oktober 2003 | Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung | Literatur, Rezension | Stadien

Das Eckige muß ins Runde

Postkarten von den Stadien der Welt

Jeder Fußballfan weiß, daß es nichts Erhebenderes gibt als den Moment, wenn man das Stadion betritt, der Blick aufs Spielfeld fällt und die Augen übergehen vor lauter Grüngrüngrün. Die Amerikaner veredeln beim Baseball die Spielfeldform zum Diamanten und dessen Reinheit zum Ausdruck nationaler Unschuld, im Fußball ist alles etwas Prosaischer und deshalb immer nur vom Rasenrechteck die Rede. Wie das Stadion drum herum aussieht, ist dem Fan in der Regel einerlei: Früher waren die Tribünen aus Holz, heute sind sie eben aus Beton, Hauptsache, die Jungs hängen sich ordentlich rein. Natürlich waren bestimmte Stadien offenbar anders als die anderen, weil schon die Art, wie Sportreporter ihre Namen aussprachen, von einer einzigartigen Aura kündete: Wembley, San Siro, Maracana, aber bereits der Name Wankdorfstadion schien für Nachgeborene seltsam unvereinbar mit seiner historischen Bedeutung. Immerhin besaßen Stadien noch ordentliche Namen wie Kampfbahn Rote Erde, inzwischen werden sie meistbietend verkauft und kommen deshalb kaum mehr über die Lippen.

Bisher war es so, daß das Interesse für Fußball den halben Erdkundeunterricht ersetzte, auch wenn die Kenntnis, daß der Betzenberg in Kaiserslautern und der Bökelberg in Mönchengladbach liegt, in der Regel nur mit einer vagen Ahnung verbunden war, wo die Städte selbst liegen. Von diesen Dingen handelt ein wunderbares Buch namens „Ansichtssache Fußballplatz“, in dem Herausgeber Herbert Perl Postkarten zum Thema aus aller Welt versammelt – und dazu Texte von Fachleuten wie René Martens, Christoph Biermann, Ludger Schulze, Dietrich Kuhlbrodt und Wiglaf Droste. Dazu erzählt Mark Obert aus Chile, wo der Anblick von Stadien ja auch daran erinnert, daß sie als Gefangenenlager mißbraucht wurden. Im Vordergrund steht jedoch, was Cees Nooteboom im Vorwort den Blick der Außerirdischen nennt, der ratlos an den grünen Rechtecken hängenbliebe. Tatsächlich ergibt sich durch die Postkarten eine merkwürdig exzentrische Perspektive auf die Städte, weil plötzlich im kleinsten Dorf wie der größten Metropole der Anstoßkreis zum Zentrum wird. Ob Oran oder Brazzaville, Niebüll oder Dundee, Tromsö oder Krasnojarsk, je mehr von diesen forsch kolorierten Ansichten man sieht, desto weniger versteht man selbst die Bedeutung dieser Schüsseln, desto mehr erscheinen sie wie kuriose Kultstätten, die in die Wüstenei am Rande der Städte gestellt wurden. Es läßt sich aber sagen: Wo es für Fußballspieler schon schwierig genug ist, das Runde ins Eckige zu kriegen, ist es für Architekten offenbar häufig noch schwieriger, das Rechteckige ins Ovale zu packen.

Herbert Perl (Hg.): Ansichtssache Fußballplatz. ConferencePoint Verlag, Hamburg 2003. 160 Seiten mit 78 farbigen Ansichtskarten, 24 Euro.

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