12. Mai 1990 | Süddeutsche Zeitung | Literatur, Rezension | Das Schweigen der Lämmer

Im Zentrum des Schreckens

Die Thriller des Amerikaners Thomas Harris

Blut, überall Blut. An den Wänden, auf dem Teppich, an den Möbeln. Als Will Graham den Tatort besichtigt, hat man die Leichen bereits weggeschafft. Er sichert die Spuren, er rekonstruiert den Tathergang. Er malt sich aus, was passiert ist, um zzu wissen, wie der Killer funktioniert, wie er fühlt und denkt. Die rote Leere am Tatort beginnt seine Gedanken auszufüllen. Will Graham läßt sich fallen. Auf den Täter stößt er erst, als er auf dem Grund seiner Seele angekommen ist. Davon erzählt „Roter Drache“, erschienen 1981, fünf Jahre später von Michael Mann unter dem Titel MANHUNTER (BLUTMOND) verfilmt.

Acht Jahre hat sich Thomas Harris Zeit gelassen für die Fortsetzung, jetzt ist „Das Schweigen der Lämmer“ auch bei uns auf dem Markt, verlegt bei Heyne. Will Graham ist nicht mehr dabei, über die Attacke am Schluß von „Roter Drache“ ist er nicht hinweggekommen. Nach dem Angriff mit einem Linoleummesser, heißt es, habe sein Gesicht ausgesehen, als sei es von Picasso gemalt. An seine Stelle tritt Ciarice Starling, Auszubildende beim FBI und eine der Besten ihres Jahrgangs. Will Grahams Schicksal bildet den Hintergrund, vor dem sich Starlings Arbeit abzeichnet. Man zieht sie hinzu, um Kontakt mit Hannibal Lecter herzustellen, einem Massenmörder, der im Hochsicherheitstrakt der psychiatrischen Klinik in Baltimore sitzt und der besser über die Psyche von Serienkillern Bescheid weiß als irgendwer sonst. Denn Lecter war selbst Psychiater, ehe man seinem wahren Wesen auf die Schliche kam.

Sein messerscharfer Geist ist selbst vom Gefängnis aus dem FBI immer einen Schritt voraus. Und obwohl man Lecter völlig von der Außenwelt abgeschlossen hat, entsteht doch der Eindruck, als halte er alle Fäden in der Hand. Er ist das heimliche Zentrum der beiden Bücher, ein kaltblütiges Reptil, dessen scharfem Auge nichts entgeht. Bei jeder Befragung durch Starling erfährt er mehr über sie als sie über den Fall. Und weil Lecter nach seiner Verurteilung nichts mehr zu verlieren hat, hält er alle Trümpfe in der Hand. Er weiß alles und sagt wenig, aus Lust am grausamen Spiel.

Der Schrecken hat einen Namen: Buffalo Bill, der Mann, der seine Opfer häutet. Das ist das einzige Muster, dem die Morde folgen, andere Hinweise auf den Täter gibt es nicht. Der Roman betreibt seine Spurensicherung mit minutiöser Sorgfalt, nichts wird ausgelassen, allem wird nachgegangen. Die Indizienketten führen mit quälender Langsamkeit zum Zentrum des Schreckens, langsam beginnt die Wahrheit zu dämmern. Und je akribischer die wissenschaftlichen Methoden geschildert werden, desto gemeiner wirkt das blutige Grauen.

Es gibt eine Szene, wo der Killer seine Vorbereitungen für die Häutung trifft, da kommt man dem Wahnsinn so nahe, daß er fast schon wieder hinter den Details verschwindet. Es ist wie in manchen Pornos, die so nahe ans Geschehen herangehen, daß die Formen und Bewegungen alles Obszöne verlieren und sich auflösen in ein fast abstraktes Spiel lebloser Objekte. Eine ähnlich kalte Mechanik beherrscht die Romane von Thomas Harris. Das Erschreckende an ihnen ist, daß er dieses Ineinandergreifen der Kräfte nach seinem Erstling „Schwarzer Sonntag“ ganz auf die Psyche verlegt. In dem brilliant konstruierten Roman von 1975 schilderte Harris noch einen Plot, der sich ganz konventionell an der Oberfläche abspielt: Eine arabische Terrororganisation plant, ein volles Football-Stadion in die Luft zu sprengen, und wie das FBI dem Plan auf die Spur kommt, immer einen Schritt zurück.

Welche Sorgfalt Harris auf seine Romane verwendet, sieht man schon an den langen Abständen zwischen den einzelnen Büchern. Das Verstörende an ihnen ist, daß der Wahnsinn nicht weniger rational funktioniert als der kriminalistische Spürsinn. Auch der Blutrausch ist Teil einer makabren Planung. Die Menschen benutzen ihre Intelligenz nur, um ihre bestialischen Gelüste zu befriedigen. Geradezu kunstvoll errichten sie das Gebäude ihres Wahns. Mit Moral allein kommt man in dieser Welt nicht weit. Denn was. im Inneren der Menschen verschlossen liegt, entzieht sich so vollständig menschlichen Maßstäben, daß die üblichen Vorstellungen von Schuld und Gerechtigkeit nicht mehr greifen. Die Psyche des Menschen gleicht bei Harris der Büchse der PaAdora. Wehe, wenn sie geöffnet wird!

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