08. Mai 1999 | Süddeutsche Zeitung | Literatur, Rezension | Julia Wallis Martin

Spatz in der Hand

Julia Wallis Martins Krimi "Der Vogelgarten"

Ein Abbruchviertel in Manchester. Ein verfallenes Haus mit Vogelgehege. Ein stotternder Züchter und tausende exotischer Finken. Zwei verschwundene Jungs und eine Leiche. Das Grauen schleicht sich langsam in diese Geschichte ein und vergiftet hinterrücks die Atmosphäre. Im Grunde ist es ein einfacher Trick, mit dem die Engländerin Julia Wallis Martin ihrer Geschichte Abgründe verleiht, aber er erfüllt seinen Zweck: Sie verschiebt die Zeitebenen gegeneinander, so daß die Wiederholung gleicher Muster in den Fällen der verschwundenen Jungs sofort hellhörig macht. Wobei die mörderischen Rituale inmitten der mittelständischen Ödnis, die sich auch auf Seiten der Ermittler ausbreitet, durchaus jenen unziemlichen Reiz ausüben, von dem sich Mordgeschichten gerne nähren. Dabei werden geschickt zwei Topoi des Kriminalromans verwoben: der serial killer und das haunted house. Im Mittelpunkt des Schreckens steht eben jenes abbruchreife Haus, in dem sich der Züchter mit seinen Vögeln verschanzt hat. Nichts Zierliches wohnt den schillernd bunten Finken inne, eher etwas unangenehm Triebhaftes, das nur darauf wartet, losgelassen zu werden. Andererseits bleiben die Vögel doch zerbrechliche Wesen, in denen sich tausendfach die Verletzlichkeit der Kinder spiegelt – was sich genau mit den Ängsten des Kommissars deckt, den jedes Opfer mit dem Problem konfrontiert, für seine eigenen Kinder ein solches Schicksal nie ganz ausschließen zu können. Am Ende ist man als Leser jedenfalls so weit, daß man die Taube auf dem Dach dem Spatz in der Hand vorzieht.

JULIA WALLIS MARTIN: Der Vogelgarten. Roman. Aus dem Englischen von Mechtild Sandberg-Ciletti. Diana Verlag 1999. 352 Seiten, xx Mark.