12. Dezember 2001 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Bericht, Literatur | Jack the Ripper

Jack The Ripper

Krimiautorin will den Fall gelöst haben

Das Reich der Toten ist ihre zweite Heimat geworden: Patricia Cornwell hat neun Kriminalromane rund um die makabren Abenteuer der Leichenbeschauerin Kay Scarpetta geschrieben und gehört nicht nur zu den erfolgreichsten, sondern auch zu den besten Autoren dieses Genres. Letzte Woche hat sie nun für Aufregung gesorgt, weil sie im amerikanischen Fernsehen behauptet hat, den 113 Jahre alten Fall von Jack the Ripper gelöst zu haben. Sie sei sich „hundertprozentig sicher“, daß der Maler Walter Sickert die Serienmorde begangen habe, und die Sache sei ihr so ernst, daß sie dafür „ihren Ruf aufs Spiel setze“. Die fünf Opfer des Killers von Whitechapel hätten schließlich auch nach all diesen Jahren noch Anspruch auf Gerechtigkeit.

Die Amerikanerin ist nicht die erste, die behauptet, den Fall gelöst zu haben, und es ist auch nicht das erste Mal, daß dabei Sickert den Schwarzen Peter zugeschoben bekommt. Der viktorianische Maler war ins Fadenkreuz der Verdächtigungen geraten, weil er zwanzig Jahre nach den Morden eine Serie von Gemälden angefertigt hat, die eine nackte Prostituierte mal tot, mal lebendig in einem Zimmer mit ihrem Mörder zeigen. Der Titel „Camden Town Murder“ bezieht sich auf einen Mord, der zwei Jahre zuvor in Sickerts Nachbarschaft stattgefunden hat, was für Cornwell wiederum mehr als nur eine Koinzidenz ist. Darüber hinaus sei die Darstellung der Toten auf dem Bild identisch mit der Pose, in der das letzte Ripper-Opfer Mary Kelly gefunden wurde. Tatsächlich waren aber die Morde schon damals auf eine Weise Teil der populären Mythologie, daß die Aufarbeitung durch einen Maler mit einem Hang zu diesem Milieu nicht gar so mysteriös ist, wie Cornwell glauben machen will.

Was an ihren Thesen soviel Aufsehen erregt, ist eher der Aufwand, mit dem sie ihre Beweisführung betrieben hat. Was als simple Recherche für einen weiteren Scarpetta-Fall begann, mündete geradezu in Besessenheit. Sie kaufte einunddreißig von Sickerts Gemälden auf sowie einige Briefe und seinen Schreibtisch und investierte dafür vier Millionen Dollar. Was die Kunstwelt besonders aufbringt, ist die Tatsache, daß Cornwell die Bilder auseinandernehmen ließ, um nach Fingerabdrücken oder Blutspuren zu suchen – ergebnislos übrigens. Dann flog sie einen Spezialisten für Handschriften, einen forensischen Fotografen und einen DNS-Experten nach London, um die Briefe des Rippers im Public Record Office zu untersuchen. Weil die Dokumente zur besseren Aufbewahrung mit Plastik hitzeversiegelt worden waren, war jede Spur von DNS zerstört. Immerhin entdeckte sie auf einem Brief ein Wasserzeichen desselben Herstellers, von dem auch Sickert sein Papier bezog. Einwände läßt Cornwell nicht gelten: „Zur Hölle mit Verteidigern. Eine Geschworenen-Jury hätte damals gesagt: „Hängt ihn!“

Die Schriftstellerin ist natürlich im Zweifel gegen den Angeklagten, weil sie schon von Berufs wegen ihre Fälle zu einem befriedigenden Ende bringen muß. Also dichtet sie Sickert ein psychologisches Profil an, das mit dem von Serienmördern übereinstimmt. Er habe einen gewalttätigen Vater gehabt, sich zwanghaft die Hände gewaschen und als Kind eine Fistel am Penis wegoperiert bekommen – was Cornwell zufolge „ein gewaltiger Auslöser“ für Sickerts Mordtrieb gewesen sein könnte. Das Leben ist aber – so möchte man einwenden – dennoch kein Roman.

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