06. September 1993 | Focus Magazin | Literatur, Rezension | Ich habe eine Mordswut

Vom täglichen Kampf des Schreibens

TITEL: Jörg Fauser/Ich habe eine Mordswut. Briefe an die Eltern 1956-87, hrsg. von Wolfgang Rüger und Maria Fauser; VERLAG: Paria Frankfurt, 176 S., 36 Mark; INHALT: Postumer Lebenslauf eines Kultautors

Briefe sind Eisberge im Meer des Lebens. Sichtbar werden immer nur die Spitzen, der große Rest bleibt unter der Oberfläche verborgen. All die Absichten und Anwandlungen, Bekenntnisse und Belanglosigkeiten, die Alltag und Zufall in Briefen zutage fördern, wekken die Neugier auf das, was unsichtbar bleibt. Besonders dann, wenn man nur die eine Seite zu Gesicht kriegt.

Die Briefe der Eltern Fauser sind in dieser Sammlung nicht abgedruckt. Man hört allenfalls ihr Echo in den Briefen des Sohnes Jörg. Das ist die Lust und die Qual in Briefsammlungen dieser Art: So oft man aus Reaktionen auf Vorgefallenes schließen kann, so oft bleibt das, was den Briefen gefolgt sein mag, im Dunkeln. So muß man hier zwischen den etwa 150 Briefen aus gut dreißig Jahren die Imagination spielen lassen, was durch sehr detaillierte biographische Daten im Anhang allerdings erleichtert wird. So wird in Briefesammlungen die Biographie zum Spiel.

Jörg Fauser hat als Erzähler und Dichter, Reporter und Essayist gearbeitet, hat vier Kriminalromane geschrieben und eine Biographie über Marlon Brando („Der versilberte Rebell“) verfaßt, ehe er im Juli 1987 bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam. Für einen Autor der Gegenwart gehört sein Werk nach der achtbändigen Gesamtausgabe und der Herausgabe der Briefe sicher zu den bestdokumentierten überhaupt – als Spiegel der letzten Jahrzehnte ist es sicher auch eines der aussagekräftigsten.

Wer wissen will, wie Fauser wurde, was er ist, wird in den Briefen viel Anschauungsmaterial finden. Vom jünglingshaften Caesarenkult des 14jährigen Lateinschülers über die Fluchten des Abiturienten nach London und Istanbul bis zum täglichen Kampf des Schreibers mit dem Papier. Geradezu beneidenswert artikuliert lesen sich die Briefe an die Eltern, und beinahe tröstlich wirken dagegen die Zeugnisse der Auseinandersetzungen mit ihnen: „Vielleicht liegt es an meiner Jugend, daß ich nicht weiß, wie ich handeln soll. Aber aufs Alter kann man so wenig warten wie auf den Musenkuß.“

Eine Schule des Schreibens sind diese Briefe, in denen man sehen kann, wie Fauser seine Beobachtungsgabe und sein Urteilsvermögen geübt hat. Sie (und er) leben aber auch vom ständigen Messen mit dem Vater, dem Maler Arthur Fauser, dessen strenges Urteil in den Briefen des Sohnes nachklingt. So entsteht in einer Zeit, in der kaum mehr Briefe geschrieben werden, postalisch ein Lebenslauf: „Die Nacht ist fast zu Ende, das Knie, auf dem ich schreibe, ist halb lahm, ich höre auf, ohne abzubrechen, die Gedanken gehen weiter, adieu.“

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