07. Juli 2001 | Süddeutsche Zeitung | Literatur, Rezension | Der Hufschlag des Siegers

Sieg für Sea Biscuit

Ein Pferd, das populärer war als Roosevelt, Hitler und Mussolini

Obwohl es um Pferde geht, ist dies nicht gerade der Stoff, aus dem Mädchenträume gemacht sind. Der Galoppsport ist eine Männerdomäne, in der verschüttete Instinkte reaktiviert werden. Andererseits ist die Autorin Laura Hillenbrand eine Frau, Journalistin für Equus, Turf and Sport und American Heritage, und neigt deshalb nicht dazu, dem Männergehabe rund um diesen Sport auf den Leim zu gehen, sondern pflegt eher den ungerührten Blick der Ethnografin auf einen Menschenschlag, der sein Leben den seltsamen Ritualen des Pferderennsports widmet. Sie hat ein Gespür für jene Geschichten, in denen Zufall und Schicksal so nah beisammen liegen und die Sieger oft erst im Fotofinish von den Verlieren getrennt werden. Ihre Lesart ist also die des amerikanischen Traums, und so heißt ihr Buch im Original schlicht: „Sea Biscuit. An American Legend“.

Stephan Lebert und Harry Nutt haben unlängst in einem dtv-Band aus der Reihe „Kleine Philosophie der Passionen” zum Thema Pferderennen gesagt, es sei eine gute Schule fürs Leben: Man lerne das Verlieren. Und wenn man an Sea Biscuits Geschichte etwas sieht, dann eben dies: Nur wer weiß, wie sich Niederlagen anfühlen, kann Siege richtig auskosten. Und wie es sich für eine ordentliche success story gehört, gab es eigentlich auch nichts, was Sea Biscuit und seine Begleiter zum Erfolg prädestiniert hätte.

Es war eher klein und krummbeinig und hatte seine ersten Jahre erfolglos auf schäbigen Rennbahnen verbracht, und wenn sich nicht drei Leute gefunden hätten, die das Potential erkannten, dann wäre auch Sea Biscuit irgendwann den Weg allen Pferdefleisches gegangen. Stattdessen wurde aus dem Pferd ein Star der späten dreißiger Jahre, der Zigtausende auf die Rennbahnen trieb und im Jahr 1938 mehr Presseberichte auf sich zog als Roosevelt, Hitler und Mussolini. Das hatte weniger mit den zahllosen Siegen und Bahnrekorden zu tun als mit den Niederlagen und Verletzungen, die das Pferd immer wieder zurückwarfen. They never come back, heißt es im Boxsport – Sea Biscuit war der Meister des Comebacks.

Die Geschichte des Pferdes ist natürlich genauso die Geschichte der Leute an seiner Seite – und in gewisser Weise auch die Geschichte ihres Landes. Charles Howard kam 1903 mit 21 Cents in der Tasche in San Francisco an und setzte gegen jede Vernunft auf den Sieg des Automobils. So wurde er reich – und Rennstallbesitzer. Tom Smith war ein alter Cowboy, der durchs Land zog und sein Leben lang mit Pferden gearbeitet hatte. Weil er mit den Tieren lieber redete als mit Menschen, erkannte er Sea Biscuits verschüttete Talente – und wurde sein Trainer. Red Pollard war ein schmächtiger irischer Kerl, der als Boxer Prügel bezogen hatte, auf einem Auge blind war und als Jockey seine besten Zeiten auch schon hinter sich hatte. Aber er und sein Kumpel George Woolf waren die einzigen, die Sea Biscuit reiten konnten. Als sich im Jahr 1936 diese Lebenswege kreuzten, hätte keiner einen Pfifferling auf dieses Team gesetzt.

Aber wie so oft müssen nur die richtigen Talente zusammen treffen und sich ergänzen, um ein funktionierendes Ganzes zu bilden. Man muss die Erfolgsgeschichte nicht nochmal nachbeten – sie ist spannend genug geschildert: Auf einige tragische Niederlagen folgten triumphale Siege, am eindrucksvollsten das ewige Duell mit dem Ostküsten-Rivalen War Admiral und das finale Comeback beim Santa Anita Handicap 1940, nachdem Sea Biscuits Karriere bereits beendet schien und Red Pollard nach lebensgefährlichen Stürzen eigentlich rennuntauglich war.

Das wirklich faszinierende sind die Schilderungen von den Gepflogenheiten des Rennsports jener Jahre, dessen schillernde Seite Hollywood- Größen wie Bing Crosby anzog und auf dessen Schattenseiten Pferde und Jockeys ziemlich gnadenlos verheizt wurden. Es gab damals – und wahrscheinlich auch heute noch – die brutale Technik des so genannten Abkochens, um Jockeys auf ihr Renngewicht zu bringen, das nur zwischen 45 und 52 Kilo liegen durfte. Wer es mit Diät allein nicht schaffte, musste in wollener Unterwäsche in einem Gummianzug bei sengender Sommerhitze um die Rennbahn laufen. Wenn das nicht reichte, nahm man Abführmittel, die mitunter so ätzend waren, dass sie noch im Regal explodierten. Und für Härtefälle gab es Kapseln mit Bandwurmeiern, mit denen man den Parasiten in den Gedärmen einnistete. Big Diet ist nichts dagegen.

Der Hufschlag des Siegers ist erstaunlich unterhaltsam erzählt, und weil Sea Biscuit mit seinen kurzen Beinen auf schlammigem Grund nicht startete, bangt man tatsächlich fortwährend um gutes Wetter für die Rennen. Es gibt allerdings ziemlich umfangreiche Danksagungen am Ende des Buches, in denen Laura Hillenbrand erzählt, wie sie ihre Geschichte recherchiert hat. Darin erzählt sie von alten Pferdenarren, die ihre Erinnerungen mit der Autorin geteilt haben – und da wünscht man sich fast, sie hätte die Gegenwärtigkeit ihrer Erzählung von Zeit zu Zeit geopfert, um ihre Zeitzeugen in die Geschichte einzubinden. Das hätte jenes Gefühl verstärkt, dass hier wie überall in Amerika die Legenden jederzeit wichtiger sind als die Fakten – und dass die Rennbahn im Grunde nur eine Art Kraftfeld ist, welche die Geschichten, die auf ihr zusammentreffen, knappe anderthalb Minuten in eine Kreisform zwängt, um sie dann zentrifugal hinauszuschleudern in die Unendlichkeit des Erzählens.

LAURA HILLENBRAND: Der Hufschlag des Siegers. Aus dem Englischen von Gunter Blank. Econ Verlag, München 2001. 446 Seiten, 44 Mark.

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