16. Juni 1999 | Süddeutsche Zeitung | Literatur, Rezension | Hannibal

Das Grunzen der Schweine

„Hannibal” – die Fortsetzung vom „Schweigen der Lämmer”

Das Buch hat die Farbe von geronnenem Blut, und zwischen den Schriftzügen „Thomas Harris” und „Hannibal” sieht man einen lindwurmartigen Drachen, der einen Menschen im Maul hat. So müssen Bücher aussehen, die ihre Leser das Fürchten lehren wollen. Die Schrecken, von denen sie künden, scheinen nicht von dieser Welt zu sein; ihre Gewalt hat etwas Mythisches. Sie kommt, so scheint der Umschlag zu sagen, mit der Unausweichlichkeit biblischer Plagen über die Menschen. Zumindest hat es Thomas Harris immer geschickt verstanden, die hochtechnisierte Welt der Kriminologie mit Verbrechen zu konfrontieren, denen etwas Unmenschliches, Animalisches innewohnt und die einer anderen Ordnung entsprungen zu sein scheinen. Das war – wie der Titel sagt – schon in „Roter Drache” so; das ist im Schweigen der Lämmer” so gewesen, wo die Larve des Totenkopffalters auf die Spur des Killers führt; und es ist in „Hannibal” so, dessen Abgründe eher an Dantes „Inferno” als an reale Verbrechen erinnern. Harris war schon immer etwas klüger als seine Kollegen , aber diesmal ist er ein richtiger Klugscheißer.

Das Buch (Delacorte, 27,95$; bei www.amazon.de für 51, 77 Mark) ist vor einer Woche in Amerika und England erschienen und hat gleich unter Lesern und Kritikern heftige Kontroversen ausgelöst. Die einen halten Harris für einen so brillanten wie wortgewaltigen Geist, der dem „Schweigen der Lämmer”eine noch bessere Fortsetzung abgerungen hat – Stephen King hält „Hannibal” in der New York Times Book Review für genauso gut wie Tom Wolfes „A Man in Full”; die anderen halten das Buch für so schlecht geschrieben wie konstruiert – wie man sagen muß: zu Recht.

Nachdem Jonathan Demmes Verfilmung vom „Schweigen der Lämmer” 1991 alle fünf wichtigen Oscars gewonnen hatte und Hannibal Lecter in die Freiheit entschwunden war, waren die Erwartungen von Jahr zu Jahr gestiegen. Doch Harris ließ jahrelang nichts von sich hören, bis am 23. März dieses Jahres ein 600-Seiten-Manuskript auf den Schreibtischen seines Agenten und seiner Verlegerin landete. Keine drei Monate später liegt es im Laden, Auflage eine Million. Da unterscheidet sich der Buchmarkt nicht vom Handel mit Schweinehälften. Was weg muß, muß weg.

Wie der Titel schon sagt, spielt Hannibal the Cannibal diesmal eine noch gewichtigere Rolle. War die Bestie in Menschengestalt, die ihre Freunde und Patienten zum Fressen gern hatte, schon im „Schweigen” der heimliche Held, so ist er diesmal vollends die Identifikationsfigur. Das ist schon mal das erste von vielen Problemen, die das Buch hat. Wo zuvor Lecters Anziehungskraft den Reiz des Verbotenen besaß, darf man sich nun nach Herzenslust mit dem Kannibalen gemein machen. Die FAZ nennt das „bizarre Ironie”, es ist Harris aber leider bitterer Ernst mit seinem Helden.

Chandler hat mal über den Mord als schöne Kunst geschrieben – Harris hat ihn beim Wort genommen. Nicht nur Lecter gebärdet sich als Künstler, der sich alle Freiheiten herausnehmen kann, sondern auch Harris hält sich für einen Dichter, der an die Zwänge seines Genres nicht mehr gebunden ist. Er gebärdet sich auf jene neureiche Art und Weise als Connaisseur, die an amerikanische Touristen erinnert, die im Rausch des günstigen Wechselkurses alles plündern, was in Europa gut und vor allem teuer ist. So verbreitet das Buch den Geruch jener synthetischen Duftmischungen, die in amerikanischen Shopping-Malls an jeder Ecke zu haben sind – vermischt mit dem Gestank von Schweineställen, die eine nicht unbeträchtliche Rolle spielen.

Der Trick mit dem feinsinnigen, raffinierten Killer hat im „Schweigen” so gut funktioniert, weil die Kennerschaft aus der Enge der Hochsicherheitszelle auf ein Leben in Freiheit verwies, das sich jeder selbst ausmalen konnte. Wenn man nun das Raffinement am Werk sieht, wirkt es den Phantasien jener Innendekorateure entsprungen, die in Hollywood die Häuser der Reichen, wie man so sagt, geschmackvoll einrichten. Nur eine einzige Szene besitzt jene Ironie, die man sonst so vermißt: Wenn der Feinschmecker Hannibal in der muffigen Touristenklasse eingezwängt sitzt und sein Lunchpaket von Fauchon mit einem kleinen Bengel teilen muß, der die Pâté de foie gras für Leberwurst hält.

Die Fragen von Schuld und Sühne stellen sich in diesem Buch nicht mehr, denn Hannibal ist der Satan höchstpersönlich oder eben, wie es Stephen King nennt, ein „Graf Dracula fürs Computer-und-Handy-Zeitalter. ” Mag sein, daß man mit den Anspielungen auf die florentinische Malerei des 15. Jahrhunderts ein Kunstgeschichtsseminar ein Semester lang auf Trab halten kann, aber das Buch wird dort, wo es die Parallelen sucht, nicht besser, sondern eher penetrant. In Amerika, heißt es immer, gebe es die Unterscheidung zwischen E- und U-Kultur nicht – „Hannibal” belegt eher das Gegenteil. Thomas Harris scheint zu glauben: Wo man Kultur reinstopft, kommt auch Kultur raus. Das funktioniert aber nur bei Schweinen, deren Grunzen hier das Schweigen der Lämmer übertönt.

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