13. November 1990 | Süddeutsche Zeitung | Literatur, Rezension | Ein Junggeselle

Tragödie eines lächerlichen Mannes

Emmanuel Boves Roman „Ein Junggeselle"

Emmanuel Bove: Ein Junggeselle. Roman, Aus dem Französischen von Georges Hausemer. Manholt Verlag, Bremen 1990. 162 Seiten, 28 Mark.

Wer eine Geschichte der schlechten Laune in der Literatur schreiben möchte, hat nicht viel zu tun. Nicht, daß es nicht genügend schlecht gelaunte Bücher gäbe, aber die Launenhaftigkeit des Menschen ist eher selten ihr Gegenstand. Wenn man Launen findet, dann allenfalls solche des Schicksals. Kaum wird man jedoch jenem Mißmut begegnen, der keinen anderen Grund kennt als sich selbst, und der den Menschen so plötzlich befällt wie er auch wieder verschwindet. Damit sind weder die Überspanntheiten älterer noch die Depressionen neuerer Romane gemeint, sondern jene Anfälle im Schattenreich der Gefühle, die noch nicht einmal die Kraft zur Konsequenz besitzen, diese Disziplinlosigkeiten des Gemüts, die alle Verzweiflung mit beschränkter Haftung durchleben. Angesichts der Häufigkeit ihres Vorkommens in der Realität läßt sich die Literatur davon reichlich selten die Laune verderben.

„Seit dem Mittagessen war Albert Guittard unzufrieden mit sich. Dabei war er guter Laune vom Tisch aufgestanden.“ Mit diesen Sätzen beginnt Emmanuel Bove seinen Roman „Der Junggeselle“. Dem unmutigen Einstieg folgt eine Episode, die sich vor dem Mittagsschlaf des Monsieur Guittard abspielt und in der dieser seiner schlechten Laune allein um ihrer selbst willen freien Lauf läßt. Dabei passiert nichts weiter, als daß das Hausmädchen einen Besucher anmeldet. Dieser Umstand genügt jedoch, um Guittard in einen völlig unbegründeten Widerstreit der Empfindungen zu stürzen und ihm ein Wechselbad aus Verlegenheit und Verärgerung zu bescheren, das sich dann an der ungebetenen Störung entlädt. Dabei handelt es sich nur um einen Spendensammler des nahe gelegenen Hospizes, den er da unwirsch abwei¬sen läßt. Im nächsten Moment bereut er’s und schickt dem Hospiz einen Scheck, Schließlich möchte er höherenorts nicht mißverstanden werden. Diese unfrohe Mischung aus Laune und Berechnung treibt Boves Helden durch seine Geschichte.

Albert Guittard war ein erfolgreicher Geschäftsmann. Vor zehn Jahren hat er sich zur Ruhe gesetzt und in Nizza eine Villa über dem Meer gekauft. Jetzt geht er auf die Fünfzig zu, und die Frau, die seine Vorlieben teilt, hat er immer noch nicht gefunden. Aber er hält unablässig Ausschau – das bildet den Antrieb des Romans. Guittards Problem dabei ist; Die, die er kriegen kann, will er nicht, und die, die er haben will, kriegt er nicht. Seine fortwährenden Anwandlungen geben dem Buch seine Form, jede seiner Gefühlsregungen bildet sich darin ab, und nur manchmal tritt die Erzählung aus ihm heraus, um ihn so zu zeigen, wie die anderen ihn sehen. Das ist dann jedesmal wie ein Schlag ins Gesicht von Guittards Einbildungen.

Bove ist ein grausamer Erzähler. Seine unbarmherzigen Charakterstudien beziehen ihre Dynamik aus dem Gefälle zwischen dem Bild, das sich die Helden von sich selbst machen, und dem, das der Erzähler von ihnen gibt. Verbunden mit dem genauen, nüchternen Blick auf die Umgebung der Helden, entsteht dabei in allen Büchern ein so präzises Geflecht alltäglichen Erlebens, daß sich darin auch noch unsere heutigen Erfahrungen verfangen.

Boves unvergleichlicher Sinn für die Metamorphosen des Gemüts findet in Albert Guittard seinen idealen Helden. Der Junggeselle zeichnet sich vor allem durch Gefallsucht und Selbstgerechtigkeit aus. Den Blick der anderen auf sich selbst hat er vollkommen verinnerlicht. Er benimmt sich ausschließlich so, wie er glaubt, daß man es von ihm erwartet. Fortwährend setzt er sich selbst in Szene, vergißt bei seiner Inszenierung jedoch, daß das Leben immer weitergeht. Die Strategien, die er sich für seine Auftritte zurechtlegt» sind völlig untauglich, weil sie einer Veränderung der Situation nicht Rechnung tragen können. So wirkt Guittard durchsichtig in den Absichten und unbeweglich im Handeln. So fieberhaft er sich in jedem Augenblick um die Deutung des Geschehens um ihn herum auch bemüht, so wenig Talent zeigt er für die raffinierte Diplomatie von Kabale und Liebe, an der sich diese Gesellschaft des Müßiggangs erfreut. So wird Guittard zum Zerrbild einer Gesellschaft, die auf äußerem Schein aufbaut.

Zwischen drei Frauen pendelt die Aufmerksamkeit des Helden. In die erste ist er verliebt, bei der zweiten sucht er Ablenkung, und von der dritten erwartet er Trost. Durchschauen kann er keine von ihnen. Ihm fehlt jenes Fingerspitzengefühl der Seele, das ihm verraten könnte, wann er zur rechten Zeit am rechten Ort ist. Aus seiner Sicht dreht sich alles nur um ihn, aber im Karussell der Egozentrik findet er keinen Blickwinkel, der ihm endlich mal Überblick über die eigene Lage verschaffen könnte. Er wartet immer auf ein Zeichen, aber nichts passiert, was seinen Erfahrungen die Zweideutigkeit nehmen würde. Im ständigen Auf und Nieder des Herzens, zwischen Wehleidigkeit und Überschwang, Skrupel und Selbstsucht bahnt sich die Geschichte ihren Weg. In den anderen Büchern gibt es diesen peinigenden genauen Blick auf die Banalität des Sichtbaren, hier ist er nach innen verlagert und registriert mit seismographischer Präzision selbst die geringsten Erschütterungen des Gemüts. In einem gänzlich unaufgeregten Stil zeichnet Bove die Fieberschübe der Anpassungswut auf.

Und obwohl in diesem Buch ein Unmut des Herzens herrscht, der den Dingen ihren Glanz nimmt und den Horizont verdüstert, liest sich dieser atemlose Dialog eines Mannes mit sich selbst bemerkenswert aufregend. Wir erleben die Tragödie eines lächerlichen Mannes von innen heraus mit. Und das Beunruhigendste daran ist der Gedanke, daß sich Monsieur Guittard von außen betrachtet kaum von anderen Menschen unterscheidet.

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