10. Dezember 1997 | Süddeutsche Zeitung | Literatur, Rezension | Doom Patrols

Disneyland ist überall

Steven Shaviro und seine „Doom Patrols”

STEVEN SHAVIRO: Doom Patrols. Streifzüge durch die Postmoderne. Aus dem Amerikanischen von Martin Baltes, Fritz Böhler, Rainer Höltschl und Jürgen Reuß. Bollmann Verlag, Mannheim 1997. 240 Seiten, 29,80 Mark.

Vielleicht muß man sich Steven Shaviro so vorstellen wie Orson Welles, wenn er der Lady from Shanghai ins Spiegelkabinett folgt. Dort steht er auf einmal nicht nur einer Rita Hayworth, sondern Dutzenden von Trugbildern gegenüber, auf die er solange schießt, bis inmitten der ganzen Scherben auch die richtige Rita Hayworth liegt. So ähnlich bewegt sich Shaviro durchs Labyrinth der Postmoderne, wo er verschiedene Phänomene aufs Korn nimmt und munter drauflosballert. Es spielt – so ist das nun mal in der Postmoderne – keine Rolle, ob er die echte Rita oder nur ihr Spiegelbild trifft. Es geht in jedem Fall um den Spaß, die Bilder klirrend zu Bruch gehen zu sehen. Und in jeder Scherbe spiegelt sich ein Teil von dem, was er treffen wollte – und ein Teil von dem, der geschossen hat. Es verstehe sich von selbst, schreibt Shaviro im Vorwort, daß dieses Buch autobiographisch sei: „Jedes einzelne Wort.”

Was bei uns „Streifzüge durch die Postmoderne” genannt wurde, heißt im Untertitel des Originals noch „theoretische Fiktion”. Wie ein Romanschriftsteller seine Figuren und Ereignisse, so behandelt Shaviro seine Ideen und Argumente. Er hält sich auch nicht weiter damit auf, den Begriff Postmoderne zu definieren. Seine Bedeutung liege in der Anwendung. Die Postmoderne sei, so schreibt er, „die Luft, die wir atmen”.

Schon der Titel Doom Patrols ist einem Comic entlehnt, den der Autor für seine erstaunliche Fähigkeit schätzt, „das Gerümpel der Kultur zu verschlingen und wieder auszuspucken”. Alle Unterschiede würden dabei einem „kontinuierlichen Spiel der Aneignung, Mimikry, rasenden Akkumulation und verschwenderischen Zurschaustellung unterworfen”. Und tatsächlich hat man manchmal beinahe den Eindruck, Shaviro plaudere, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, und selbst die zahllosen Zitate von Bataille oder Blanchot, Deleuze oder Guattari, Burroughs oder Dick gehen ihm dabei vergleichsweise leicht von den Lippen. Wie der Flaneur vor leuchtenden Schaufenstern scheint er sich an Eleganz oder Witz der Zitate zu erfreuen.

Als erstes streckt er Baudrillard die Zunge heraus, über dessen Amerikabild er sagt: „Selbst dieser berühmte Kenner der Hyperrealität hat’s nicht wirklich begriffen.” Als altmodischer Europäer vermute er hinter Amerika Geheimnisse, die gar nicht existierten. Baudrillards Gedanke, Disneyland existiere nur, um zu kaschieren, daß das reale Amerika selbst ein Disneyland ist, sei Quatsch. Kein Amerikaner, meint Shaviro, habe je geglaubt, sein Land sei irgendwie realer als Disneyland. Im Gegenteil: Gerade auf die Ähnlichkeit seien die Amerikaner besonders stolz. Gut gebrüllt, Löwe.

An 15 Figuren hangelt sich der Text entlang, verschlingt sie und spuckt sie wieder aus: Michel Foucault und Bill Gates, David Cronenberg und Cindy Sherman, Andy Warhol und Dean Martin. Wenn er etwa über Cronenbergs Film Die Fliege auf das Verhältnis von Menschen und Insekten zu sprechen kommt, dann erfassen ihn über der gewaltigen evolutionären Kluft „schwindelerregende Schauder gastronomischen Ekels und sexueller Hysterie”. Er stellt fest, daß unser Talent für Erinnerung und Selbstreflexion hauptsächlich dazu dient, „uns mit der toten Last der Vergangenheit zu terrorisieren”. Der Mensch ist nicht auf Mutation, nur auf Anpassung aus. In der Natur werde deshalb wie in Hollywood das große Geld immer in Fortsetzungen und Remakes investiert. Ein Gedanke, der uns direkt zu Dean Martin bringt, den Strategen des Verschwindens, der ohne Erinnerung, Bedeutung oder Erlösung auskam.

„Aber was soll’s”, sagt Shaviro zum Schluß: „Dreh den Ton ab und geh ins Bett, morgen wird was anderes gespielt.”

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