23. Dezember 1999 | Süddeutsche Zeitung | Photographie, Rezension | Fotografien von Madame Yevonde

Die Röte des Rots von Vivexcolor

Alles so schön bunt hier: Die Münchner Villa Stuck stellt Madame Yevondes Fotoarbeiten aus den dreißiger Jahren aus

Nichts gegen Schwarzweiß, aber manchmal hilft Farbe doch sehr. Auf alten Schwarzweiß-Fotografien kann man sich nie so recht vorstellen, wie sich die Leute wohl angefasst haben mögen; im ewigen Frost der Farblosigkeit scheint ihnen jede Fleischlichkeit verloren gegangen. Wenn man nun also Madame Yevondes Serie mit Damen der besseren britischen Vorkriegsgesellschaft ansieht, dann verblüfft aller Künstlichkeit zum Trotz zuerst einmal die Tatsache, dass ihre Haut fleischfarben ist, die Lippen rot, die Augen blau. Eigenartig berührend sind die Porträts, weil plötzlich vorstellbar wird, dass sich hinter den als antike Göttinnen verkleideten Damen echte Frauen verbergen, die einen Körper und nicht nur einen Ehemann mit gutem Namen, sondern womöglich gar einen Liebhaber hatten. Durch all die Schminke und leuchtenden Farben hindurch ahnt man die Haut und kann sich durchaus ausmalen, wie begehrenswert diese Damen zu ihrer Zeit waren.

Da ist es dann umso erheiternder, wenn man die Bildlegenden zu der Goddesses-Serie liest und feststellt, dass die Geschichten alle Erwartungen aufs Schönste bestätigen: Arethusa heiratete, wie es so schön trocken heißt, „einen Südamerikaner namens Robledo”; Minerva war die Ehefrau von Hitchcocks Produzent Sir Balcon; Phentesilea heiratete in dritter Ehe den Enkel von Zar Alexander III. ; die Schwester von Kalypso war eine der ersten Fernsehansagerinnen; der Mann von Niobe hielt 1930 die Geschwindigkeitsweltrekorde zu Wasser und zu Lande; Dido besaß „ein eigenes Textilfachgeschäft in London”; und Venus heiratete ein Jahr nach der Porträtsitzung Sir Oswald Mosley, Gründungsmitglied der britischen Faschisten. Aber 1935 war die Welt noch in Ordnung, und die jungen Damen hatten mit ihren köstlich dekadenten Verkleidungen vermutlich eine Menge Spaß im Atelier von Madame Yevonde, während ihre Männer die Geschicke des Landes leiteten.

Man muss die Britin (1893 – 1975) nicht zur Meisterin ihres Fachs verklären, aber gerade in der Begrenztheit ihrer Themen und Ansätze liegt viel Charme: Wie sie dem Surrealismus Reverenz erweist und sich in Stillleben und Werbefotografien eine Spielzeugwelt aus Schmetterlingen, gläsernen Fischen und antiken Büsten zusammenbastelt, die irgendwo zwischen Man Ray und De Chirico liegt. Und hinter dieser eher snobistischen Attitüde verbirgt sich durchaus Pioniergeist und Experimentierfreude. Sie kämpfte nicht nur auf Seiten der Suffragetten für die Sache der Frauen, sondern sie war auch noch eine der ersten in England, die sich an die Farbfotografie wagten. Das Vivex-Verfahren, bei dem immer drei Platten belichtet werden mussten, beförderte natürlich den statuarischen Effekt der Aufnahmen; und weil dabei wie bei der Malerei mit Pigmenten gearbeitet wurde, konnten die Farben ein Eigenleben und eine Leuchtkraft entwickeln, die in den heutigen Zeiten selbstverständlicher Buntheit wie der reinste Luxus wirkten. Manchmal glaubt man direkt zu sehen, wie das Rot sich dazu entschließt, sich zu Lippen zu formen. Man glaubt gar nicht, wie rot ein Rot sein kann.