11. Oktober 2001 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Bericht, Kunst | Documenta 11

Lange Leiter

Vierte Documenta-Plattform: Ortstermin Berlin

Die Veranstaltung am Dienstag abend im Berliner Haus der Kulturen der Welt hätte mit vollem Titel eigentlich so ähnlich heißen müssen wie „Documenta 11 – Plattform 1 – Teil 2 – Episode 1“ – womit sie sich vollends an die eigentümliche Zählweise angelehnt hätte, mit der George Lucas seine „Star Wars“ durchnumeriert und die der Documenta-Leiter Okwui Enwezor im Kopf gehabt haben muß, als er die eigentliche Kasseler Ausstellung zur Plattform 5 machte, der vier andere Veranstaltungen vorausgehen. Der Untertitel der Berliner Vortragsreihe lautet allerdings nicht „The Phantom Menace“, sondern „Democracy Unrealized“, obwohl der Abend dann doch von der dunklen Bedrohung nach dem 11. September handelte. Aber davon handeln unser aller Abende ja ohnehin.

11-1-2-1 legt schon durch die Zählweise nahe, daß wir uns in einem kunstvoll angelegten globalen Labyrinth befinden, in dem Enwezors Faden von Wien über Berlin nach Neu-Delhi, St. Lucia und Lagos bis nach Kassel führen soll, wo man dann am 8. Juni nächsten Jahres aus dem Dunkel der Vortragssäle ins Licht der Ausstellung taumelt. Die vier ersten Plattformen behandeln Themenkomplexe wie „Experimente mit der Wahrheit“, „Creolité und Kreolisierung“, „Unter Belagerung: Vier afrikanische Städte“ oder eben „Demokratie als unvollendeter Prozeß“. Letzteres Thema wurde im Frühjahr in Wien von gut zwanzig Referenten behandelt und wird nun im Oktober in Berlin mit sechs weiteren Vorträgen weiterverhandelt: Am 16. spricht Wole Soyinka, am 18. Ernesto Laclau, am 27. Nawal El Saadawi und Zhiyuan Cui und am 30. Harbans Mukhia. Am Dienstag begann Homi K. Bhabha, der große Theoretiker des Postkolonialismus – und man kann sagen, daß es zur Documenta noch ein weiter Weg ist. Aber andererseits ist nach Enwezors Vorstellungen dieser Weg auch schon das Ziel.

Die schlechte Nachricht kam wie immer zuerst: Mr. Bhabha, so hieß es, könne leider aus aktuellem Anlaß nicht leibhaftig erscheinen. Die gute Nachricht war, daß das keine Rolle spielte, weil er auf einer Leinwand live aus Harvard zugeschaltet war. Das verlieh der Veranstaltung – Bhabha verlas ein 23seitiges Manuskript, über das dann diskutiert werden durfte – eine Art Installationscharakter. So schwebte über dem Saal das flimmernde Bild, dem die Zuhörer wie einem elektronischen Götzen zugewandt waren. Erst mal war die Leinwand jedoch schwarz, und die Einblendung „Schwarzbild“ verwies weniger auf technische Details als auf den – natürlich unabsichtlichen – Kunstcharakter der schwarzen Leinwand. Womöglich war ja auch das ein Kommentar zum 11. September.

Während also Okwui Enwezor und Sarat Maharaj in warmen Worten den Redner einführten, trank dieser im fernen Boston ein Glas Wasser, setzte seine Brille auf und ab und winkte fröhlich – und auch das wirkte plötzlich wie eine besonders feinsinnige Inszenierung zum Thema „Globalisierung, Echtzeit und mediale Vermittlung“. Wie ja überhaupt das ganze Konzept mit den Plattformen die Kunst als Sache der Anschauung gründlich unterwandert und das starke Bedürfnis nach Vermittlung nährt. Es scheint fast so, als wolle Enwezor einen theoretischen Teppich rund um die Welt ausrollen, auf dem man dann frohgemut nach Kassel schreiten kann.

Homi K. Bhabha tat jedenfalls das Seine dazu, indem er von den Nachrichtenticker-Bändern, die bei CNN unten durchs Bild ziehen und auf denen er „die Listen von Hollywoodfilmen, die ähnliche Geschichten erzählt haben und auch wieder erzählen werden“, erkannte, zu Wittgenstein und seiner Vision des „Ungebauten“ kam. Man müsse sich freimachen vom Denken in Gegensätzen, sondern „zur Seite denken“, „einen dritten Raum schaffen“ jenseits von Gut und Böse, Zivilisiert und Unzivilisiert, Freund und Feind. Tatsache ist aber, daß man gerade in diesen Zeiten einigermaßen ungeduldig auf abstrakte Begrifflichkeiten reagiert und sich eher einen konkreten politischen Diskurs wünschen würde. So blieben Horst Bredekamps nachträgliche Einlassungen zu Carl Schmitt, Walter Benjamin und Thomas Hobbes der einzige Lichtblick an diesem Abend, weil er die Anschläge als tiefen Riß in der Ideologie der Simulationen begriff, der nicht nur unseren Blick auf die Welt ein für allemal verändert hat. Okwui Enwezor filmte seinerseits den Abend mit seiner Digitalkamera. Vermutlich ist sein Home Video der Hauptfilm – und alles andere war nur Vorprogramm.

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