27. Mai 1988 | Die Zeit | Filmkritiken, Rezension | Wish you were here

WISH YOU WERE HERE von David Leland

Scheiße, daß man nicht fluchen darf. Scheiße, denkt Lynda und läßt ordentlich die Sau raus. Danach kann man den Tee gegen das Porzellan schwappen hören, so verschlägt es allen die Sprache. Pimmel? Arsch? Unerhört. Das sagt man nicht, wenn Besuch da ist. Und schon gar nicht als elfjähriges Mädchen. Der Vater schickt Lynda aufs Zimmer, die Mutter leidet stumm. Später kommt sie nach und streicht Lynda übers Haar. In sich versunken sitzt die Kleine auf einem Hokker vor dem Fenster. Langsam fährt die Kamera in einem Bogen um die Silhouette: Lynda sitzt immer noch, aber nun ist sie älter und die Mutter tot. WISH YOU WERE HERE, David Lelands erste Regiearbeit, handelt von Lücken, von Einsamkeit und Leere. Und ist doch ein komischer Film. Lynda ist süße sechzehn und ein echtes Luder. Im Frisiersalon, wo sie arbeitet, verbrennt sie einer Kundin die Haare, weil die mit einem der Lehrlinge flirtet. Auf der Uferpromenade fährt sie mit hochgeschobenem Rock Rad und fragt die Jungs: Hab ich nicht so schöne Beine wie Betty Grable? Lynda geht ran. In die Leere ruft sie verzweifelt hinein, aber das Echo klingt hohl und kalt: Wish you were here. Die fünfziger Jahre waren keine Zeit für Mädchen wie sie. Sie wählt die einzige Methode, mit der sich die tote Hülle noch in einen Resonanzboden verwandeln läßt: schmutzige Worte und ordinäres Gehabe. Sie testet ihre Wirkung auf die Männer, ohne zu wissen, was sie mit den Reaktionen anfangen soll. Unbeholfen bietet sie ihren Körper an, um etwas zu fühlen, irgendwas. Ein schönes, trauriges Bild hat Leland dafür gefunden: das kleine Mädchen, das mit einer Gasmaske am Bordstein sitzt. Durch einen Filter getrennt von der Welt, von dem Mief, der sie zu ersticken droht. Nur noch die starken Reize dringen durch. So ungebärdig, unerhört und unberechenbar waren in Europa schon lang keine Filme mehr.

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