11. November 1994 | Die Zeit | Filmkritiken, Rezension | Silent Tongue & The Thing Called Love

River Phoenix in zwei Filmen von Sam Shepard und Peter Bogdanovich

Die letzte Vorstellung

New Mexiko und Nashville: zwei Orte im Herzen Amerikas, zwei Landstriche, aus denen die Seele des Landes ihre Kraft bezieht. Nur im Westen und im Süden treffen die Geschichten auch auf eine Geschichte, die jenseits von historischen Daten existiert. Wenn Filme in diesen Gegenden spielen, dann bringen nicht nur Schwerkraft und Tatendrang die Dinge in Bewegung, sondern dann kommen Kräfte ins Spiel, die sich jeder physikalischen Erklärung entziehen. Dann kann es sein, daß die Toten zu sprechen beginnen oder ein Kuß ein Gewitter auslöst.

Ein Schwenk über die kargen Steppen Neumexikos. In einem indianischen Bestattungsbaum liegt der Leichnam einer Frau, zu seinen Füßen sitzt ein junger Mann am Feuer. Darüber zieht ein Raubvogel seine Kreise. Ein Blick, ein Schuß – so beginnt SILENT TONGUE von Sam Shepard. Ein langer Schwenk folgt einem Greyhoundbus, im Hintergrund sieht man die Freiheitsstatue entschwinden. Ein Mädchen will sein Glück in Nashville versuchen, deshalb geht sie zum Vorsingen ins „Bluebird Café“. Vor der Türe trifft sie einen jungen Mann, der ebenfalls zu spät kommt. Er benutzt sie als Ausrede, wird aber trotzdem abgewiesen. Sie fühlt sich ausgenutzt, ihm ist das egal. Ein Blick, ein Streit – so beginnt THE THING CALLED LOVE von Peter Bogdanovich.

Shepard und Bogdanovich sind zwei Figuren am Rande des amerikanischen Filmgeschäfts – und doch dem wahren Wesen des amerikanischen Kinos näher als andere. Shepard feierte Erfolge ils Dramatiker und Schauspieler, inszeniert aber seine Filme eher im Abseits. Bogdanovich gehörte in den Siebzigern nach THE LAST PICTURE SHOW und IS WAS DOC? zur Spitze seiner Zunft und wurde dann allmählich zum Außenseiter. Bei beiden Regisseuren ist durch dieses Arbeiten abseits des Trubels eine Freiheit spürbar, die ihre Filme den Zwängen des amerikanischen Kinos entwindet. Daß sowohl in SILENT TONGUE als auch in THE THING CALLED LOVE der unlängst verstorbene River Phoenix mitspielt, ist vielleicht mehr als nur ein Zufall.

Phoenix war immer ein Mann, der vor seinem drohenden Ruhm in Rollen floh, die sich den gängigen Idealen von Jugend und Schönheit entzogen. Gerade dadurch wurde er zu einem Idol seiner Generation, das sich dann auch noch durch seinen sinnlos frühen Tod vollendete. Natürlich ist es verlockend, in seinen beiden letzten Rollen Zeichen des nahen Endes zu sehen. Es liegt auch deshalb nahe, weil River Phoenix beide Male zur Versteinerung neigt und seinen ausweichenden Blick, wo es geht, der Kamera entzieht. Gleichzeitig läßt er aber dann, wenn es nötig ist, eine Präsenz aufblitzen, die eine ganz eigene Wahrhaftigkeit besitzt. Man ahnt die große Zukunft und sieht zugleich, warum sie nicht möglich war.

Fast hat man den Eindruck, als sei es seine eigene Entscheidung gewesen, die Aufmerksamkeit von sich abzulenken. Als junger Witwer, der von seiner toten Frau nicht lassen kann, und als Country-Sänger, dem sein Talent im Wege steht, wirkt er manchmal so kühl und fern wie ein zur Unzeit erloschener Stern, auf eine Weise gealtert, die sich in Jahren nicht fassen läßt. All die Jugendlichkeit, die er sich ausgetrieben hat, verkörpert sein Freund Dermot Mulroney, der so offen und sympathisch wirkt, wie man es von Phoenix erwarten würde, und der doch im Schatten seines Freundes bleibt. River Phoenix ist im Universum dieser Filme eine Art schwarzes Loch: zur Unsichtbarkeit neigend und doch alle Blicke anziehend.

Kühl und fern wirkt auch Sam Shepards SCHWEIGENDE ZUNGE, wie ein Echo auf die ehemalige Kraft der Western. Seine Landschaften sind so weit und leer, daß die Handlung Mühe hat, sie mit Stimmen und Bewegungen zu füllen. Ein Pferdehändler (Richard Harris) versucht, für seinen trauernden Sohn eine neue Frau zu finden, und handelt einem Wunderdoktor (Alan Bates) die Schwester der Toten ab. Aber der Tod schlägt alle in seinen Bann, und sein Raunen und Murmeln übertönt selbst die Darbietungen der Medicine Show, mit der der Wunderdoktor über die Ebene des Westens zieht. Lauter Einsame und Verlorene sind hier unterwegs, ohne Hoffnung auf eine Heimat auf der großen Bühne dieses Landes. Als Regisseur funktioniert Shepard ähnlich wie Phoenix, verweigert und entzieht sich und schafft doch Bilder von poetischer Kraft.

Wo Shepard die Mythen des indianischen Westens am Werk zeigt, als sei keine Zeit vergangen, da untersucht Bogdanovich, was von den Legenden Tennessees – Nashville und Graceland – heute noch übrig ist. Einmal sitzen River Phoenix und Samantha Mathis auf der Ladefläche ihres Pickup Trucks, sehen im Autokino John Fords LIBERTY VALANCE und improvisieren dazu einen Song, der von Jimmy und Johnny erzählt. Im Grunde funktioniert der ganze Film wie diese eine Szene. Bogdanovich macht sich keine Illusionen, daß die großen Zeiten vorbei sind, und setzt doch eher auf die Legende als auf die Fakten. Die Country Musik hilft ihm dabei mit ihrer Art, einfache Gefühle in einfache Worte zu fassen. In dieser Welt ist es immer noch möglich, daß man in Memphis einen Ring aus dem Kaugummiautomaten zieht und sich verheiratet und sich vor dem Tor von Graceland küßt und Blitz und Donner losbrechen, als sei die ganze Welt ein Song von Elvis. Für die, die reinen Herzens sind, erzählt der Film, wird das auch immer so sein. Das ist das Ding, das man Liebe nennt.

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