29. September 1995 | Focus Magazin | Filmkritiken, Rezension | Showgirls

Porno oder Posse?

Amerika im Skandalfieber: SHOWGIRLS, der neue Film von bASIC INSTINCT-Regisseur Paul Verhoeven, bringt die Nation ins Schwitzen. Darf soviel Nacktheit sein im Kino?

Laßt euch nicht aufhalten“, rief Drehbuchautor Joe Eszterhas der amerikanischen Jugend zu: „Minderjährige sollten alles versuchen, um SHOWGIRLS zu sehen – wenn es sein muß, auch gefälschte Ausweise verwenden. Jugendlichen unter 17 zu verbieten, die moralische Botschaft des Films zu hören, nur weil er unter Nackttänzerinnen in Las Vegas spielt, ist frommer Unfug.“

Jack Valenti, Präsident der Motion Picture Association of America (MPAA), schoß zurück, Eszterhas sei offenbar sehr krank und brauche medizinische Betreuung. Selbst MGM/ United Artists, das SHOWGIRLS verleiht, war erschrocken und versicherte, man sei ganz und gar nicht mit Eszterhas einer Meinung und werde alles tun, um dafür zu sorgen, daß keine Minderjährigen ins Kino kommen.

Und selbst Regisseur Paul Verhoeven reagierte etwas befremdet. Er habe, sagt der Holländer, als er im „Four Seasons“ in Beverly Hills zum Interview erscheint, mit Erstaunen gelesen, daß Eszterhas SHOWGIRLS als Moralstück bezeichnet hat: „Ich dachte, ehrlich gesagt, es sei ein Musical, in dem es um Showgirls in Las Vegas geht. Um Moral geht es eigentlich nur im dritten Akt.“

Tatsächlich geht es um Showgirls in Las Vegas – aber die Frage, die sich die US-Öffentlichkeit stellt, lautet keineswegs Musical oder Moralstück, sondern eher Porno oder Posse. Zuerst hat der Film dadurch auf sich aufmerksam gemacht, daß er die erste Großproduktion Hollywoods ist, die eine Klassifizierung als NC 17, die Jugendlichen unter 17 den Kinobesuch verbietet, bewußt in Kauf genommen hat.

Und nun wurde er mit einer Häme verrissen, die ahnen läßt, daß es dabei nicht nur um filmische Qualität ging. „Unfreiwillig komisch“, schrieb die „New York Post“, „bemerkenswert unerotisch“, befand „Newsweek“. Die „New York Times“ sah in „Showgirls“ nur einen „nacktärschigen Langeweiler“, und „Newsday“ fällte gleich das Verdikt „schlechtester Film des Jahres“. Und die FAZ urteilte aus New York, der Film sei „eine Stümperei“.

Den Erfolg konnte das indes nicht verhindern: Am ersten Wochenende spielte die aufregend choreografierte und sexy inszenierte Success-Story immerhin 8,3 Millionen Dollar ein – ein bemerkenswertes Ergebnis, wenn man bedenkt, daß einem Großteil der Kinogeher der Zutritt untersagt ist.

Konservative Kritiker haben schon vorher die Debatte genutzt, um wieder mal den Verfall der Sitten Hollywoods anzuprangern. Dabei wurde 1990 die Kategorie NC 17 eigentlich eingeführt, um zu vermeiden, daß Filme für Erwachsene automatisch das Stigma X, das in den USA gemeinhin für Pornos steht, erhalten.

Verhoeven selbst mußte seinen letzten Film, BASIC INSTINCT, neun- mal vorlegen, bis die Zensoren endlich zufrieden waren. „Auf diese demütigende Prozedur“, sagt er in seinem stark holländisch gefärbten Englisch, „wollte ich mich nicht noch einmal einlassen. Ich habe SHOWGIRLS nur unter der Bedingung gemacht, daß ich mich an keine Bedingungen halten muß.“

Der Holländer hat also eigentlich lediglich dem NC 17 zu seinem Recht verholfen. „Es muß doch möglich sein“, sagt er verdrossen, „erwachsene Filme für Erwachsene machen zu können, ohne auf Kinder Rücksicht nehmen zu müssen. Und wenn man sieht, wieviel Gewalt in einem Film mit einer R-Einstufung gezeigt wird, dann fragt man sich schon, was schlimmer ist: Wenn 17jährige nackte Menschen beim Sex sehen oder wenn Achtjährige in Begleitung ihrer Eltern sehen, wie Leute erschossen werden?“

Zur Sache geht es in SHOWGIRLS tatsächlich, aber eigentlich eher am Rande. Es wird einmal im Pool kopuliert und einmal im Separée so getan als ob, und einmal beweist die Heldin mit einer Fingerprobe, daß sie ihre Tage hat – aber sonst zeigt SHOWGIRLS nichts, was man nicht auch anderswo sehen könnte. Wenn man mal davon absieht, daß die Showgirls von Berufs wegen die meiste Zeit barbusig durch den Film laufen.

Gina Gershon, die smarte Diva des Films, ärgert sich im Gespräch über die Art und Weise, wie „Showgirls“ vorverurteilt wird: „Wenn in einem Film Männer ihren Körper einsetzen, um ihr Ziel zu erreichen, dann nennt man sie Casanova oder Don Juan. Wenn das Frauen tun, dann nennt man sie Schlampen. Nicht nur böse Mädchen haben Spaß am Sex.“

In der Geschichte geht es um zwei Tänzerinnen, von denen die eine oben ist und die andere nach oben will. Weg vom „lap dancing“, wo die halbnackten Tänzerinnen ihren bekleideten Kunden auf dem Schoß herumrutschen.

Genau das hat der Star Elisabeth Berkley in David Lettermans LATE NIGHT SHOW vorgeführt, und zwar auf dem Gastgeber selbst. „Ich war doch angezogen, und außerdem habe ich nur mit ihm gespielt und bin nicht auf ihm geritten“, sagt Berkley mit Unschuldsmine. Und so wie die großgewachsene Blondine mit kalkuliert durchtriebener Naivität davon erzählt, versteht man gleich, daß sie genau verstanden hat, worum es hier geht: um Publicity.

Das war auch nötig, denn was NC 17 von R trennt, ist weniger das kleinere Publikum als die Tatsache, daß die Werbemöglichkeiten erheblich eingeschränkt sind. Im Fernsehen dürfen die Spots erst nach 22 Uhr ausgestrahlt werden, und Zeitungen können sich weigern, die Anzeigen zu drucken. Tatsächlich wollten eine Zeitung in Oklahoma und zwei Kinoketten im Süden der USA mit SHOWGIRLS nichts zu tun haben, aber das hat der Publicity eher geholfen.

Selbst die Kritiker, die den Film nicht mochten, mußten anerkennen, daß MGM/United Artists die Debatte um NC 17 optimal für seine Zwecke genutzt hat. Eine interaktive SHOWGIRLS-Werbung im Internet lockte über eine Million Surfer täglich an, so daß einmal sogar der Computer-Server zusammenbrach. Das Schlimmste, was SHOWGIRLS also hätte passieren können, wäre ein R-Rating von der MPAA gewesen.

Aber da war auf die Zensoren Verlaß: Sie fanden den Film für Minderjährige ungeeignet. Und Elisabeth Berkley vermutet gar: „Die Leute, die jetzt am lautesten brüllen, werden vermutlich die ersten an der Kinokasse sein.“

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