05. Oktober 1990 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Die Rache einer Frau

Das Phantom der Liebe

Jacques Doillons Film DIE RACHE EINER FRAU

Eine Dreiecksgeschichte um zwei Frauen und einen Toten. Die eine war die Ehefrau, die andere die Geliebte. In einem Pariser Hotel treffen die beiden aufeinander und reden, über die Liebe zu einem Phantom und über das Phantom der Liebe. Das heißt, mit bloßem Auge erkennt man nichts. Die Schönheit dieses Films ist wie immer bei Doillon eine Glaubensfrage. Im letzten Film begrüßte der Vater seinen Sohn nach dem Aufstehen mit den Worten, die Welt sei heute morgen perfekt. Und der Sohn erwiderte: „Wenn du das sagst, dann glaub‘ ich dir.“ So ist das auch in DIE RACHE EINER FRAU: Man muß nur seinen Ohren trauen.

Wie in jedem Märchen geht es auch hier darum, daß Träume wahr werden. Aber nicht nur die schönen, sondern auch die schlechten. Suzy ist zurückgekehrt in das Hotel, in dem sie sich mit Andre getroffen hatte. Diesmal ist er nicht da. Angezogen schläft sie auf dem Bett ein. Plötzlich schreckt sie hoch aus ihren Träumen. Es ist ihr, als hätte sie jemanden an der Tür gehört. Als sie nachsieht, ist keiner da.

Verwirrt will sie sich wieder hinlegen, da dreht sie sich noch mal um und öffnet die Türe. Davor steht Cecile, die Frau ihres Geliebten, und behauptet, sie habe nicht geklopft. Das ist das Verunsichernde bei Doillon: wie sich die Hierarchien zwischen Innen und Außen, Fühlen und Tun, Absicht und Ergebnis verkehren. Im Zweifelsfall bewegen die Emotionen mehr als jedes Handeln. Diese Filme spielen in einer Welt, wo das Wünschen noch helfen kann.

Jacques Doillon hat einmal gesagt, was für ihn das Kino ist: „Die Arbeit mit einer Schauspielerin. Der Rest ist Angst.“ DIE RACHE EINER FRAU lebt von der Arbeit mit zwei Schauspielerinnen, Beatrice Dalle und Isabelle Huppert. Und es geht dabei nicht um die Identifikation zweier Frauen, nicht um ihre Glaubwürdigkeit, sondern tatsächlich um diese Arbeit des Regisseurs, der den beiden zu Leibe rückt. Viel spannender als der Ungewisse Ausgang des Duells ist es, zu beobachten, wie die zwei Schauspielerinnen reagieren, wie sich die unablässige Aufmerksamkeit der Kamera ihren Gesichtern einzeichnet und sie auszehrt. Eine große Müdigkeit überkommt sie manchmal, eine Sehnsucht, die Gefühle möchten mal zur Ruhe kommen und ihnen einfach ihren Platz in der Geschichte zuweisen. Wie sich die Regungen in ihnen spiegeln, spielt innerhalb der Geschichte eine weniger große Rolle als außerhalb. So bleibt eine gewisse Distanz gewahrt, die die Arbeit der zwei Frauen sichtbar macht und ihre Schönheit. Jacques Doillon ist deshalb ein so großer Frauenregisseur, weil er sich keine Illusionen macht. Das überläßt er dem Zuschauer.

Es gibt keine Gewißheiten in dieser Geschichte, alles bleibt in Bewegung. Nie ist wirklich sicher, was Wissen und was Ahnung, was Absicht und was Zufall ist. War es Unfall oder Selbstmord, als der Mann von der Straße abkam? War es Laune oder Planung, die die beiden Frauen zusammenführte? Je mehr zur Sprache gebracht wird, desto weniger ist sicher. Dazu entwirft Kameramann Patrick Blossier Bilder von einer unglaublichenlichten Klarheit und Ruhe.

Mit den Farben des Hintergrunds schafft er Einstellungen, die immer wieder an klassische Vorbilder aus der Malerei erinnern. Und die Frauen davor drohen ständig in ihren Posen zu erstarren. Aber diesen Trost gewährt ihnen Doillon nicht. Der Reigen und das Ringen um den Toten wird immer gespenstischer, die Situation immer unwirklicher. Das Reden schafft seine eigene Realität, hinter die das. was wirklich passiert ist, zurücktritt. Die zwei Frauen schieben sich gegenseitig die Schuld am Tod des Mannes zu. Eine von beiden muß dabei dran glauben. Und einen Moment lang sieht es so aus, als fänden sich die beiden zu einer Pieta zusammen, doch dann flieht die Überlebende und wirft die Türe zu.

Das Ende ist so banal wie jede unerwiderte Liebe. Aber auch das ist eine Glaubensfrage.

(In München im Theatiner.)

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