19. August 1994 | Die Zeit | Filmkritiken, Rezension | Das Parfum von Yvonne

DAS PARFUM VON YVONNE von Patrice Leconte

Villa Triste

Das Auge rast über das Wasser, durch das Spiel des Lichts in den Wellen, in eine Welt glasiger Spiegelungen über schwarzem Grund. So beginnt der Film, ehe die Kamera ihren Blick zum anderen Seeufer hebt und sich emporschraubt zu einer Frau, die an der Reling eines Schiffes steht und übers Wasser blickt. Man muß diesen Anfang im Kopf behalten, wenn man in die Handlung eintaucht, denn „Das Parfüm von Yvonne“ ist selbst kaum mehr als ein funkelnder Reflex auf dunkler See.

Was an dem Film zur Geschichte taugt, ist so flüchtig wie der Duft der Frauen. Ein Sommer im Niemandsland an der Grenze zur Schweiz. Vom Algerienkrieg erfährt man nur aus den Wochenschauen. Der junge Mann (Hippolyte Girardot), der sich dem Militärdienst hierher entzogen hat, nennt sich Victor Chmara. Die schöne Frau (Sandra Majani), die er im Foyer des „Grand Hotel“ kennenlernt, heißt Yvonne und ist Filmschauspielerin. Der ältere Herr (Jean Pierre Marielle) in ihrer Begleitung soll ein Doktor sein und ist offenbar in dunkle Geschäfte verwikkelt. Zu dritt lassen sie sich durch den Sommer treiben, die jungen Leute vor allem einander, der Ältere mehr dem eigenen Geschlecht zugetan. Es ist so, wie Patrick Modiano in „Sonntage im August“ schreibt: „Es gibt nichts zu erklären. Von Anfang an war es nur eine Frage der Atmosphäre und des Dekors.“

Das Verdienst von Patrice Leconte besteht nicht so sehr in der gelungenen Beschwörung dieser mondänen Welt am Rande des Nichts als vielmehr darin, ihren Schöpfer gebührend zu würdigen. Jener Patrick Modiano hat zwar schon einmal fürs Kino gearbeitet, 1974 beim Drehbuch zu Louis Malles LACOMBE LUCIEN, ist aber selbst bisher noch nicht verfilmt worden, obwohl häufig die filmische Qualität seiner Bücher gepriesen wurde. In der Tat ist Modianos Erzählen am Detektivroman und sein Blick an Filmen geschult, aber was seine Romane im Inneren bewegt, ist das Gegenteil von Kino. Es geht um die Qual der unscharfen Erinnerung, um jene verschwommenen Bilder, die auf dem Gedächtnis liegen wie Worte auf der Zunge. Ein Photo, ein Name, ein Duft oder eine Farbe genügen, und der Boden tut sich unter den Füßen auf.

Wo sich Modiano auf die topographische Vermessung verflossener Zeiten und untergegangener Welt verlegt, da beschränkt sich Leconte darauf, einzelne Momente zu vergolden, um ihnen die süße Schwere der Erinnerung zu verleihen: der Nacken einer Frau, die Liebe unter Bäumen, der Wind im Stoff eines Sommerkleids. Das Echo der Lektüre ist im Film hörbar, und die Kinobilder sind transparent genug, die Erinnerung nicht zu verstellen. Man könnte Leconte also getrost all das zugute halten, was Modiano auszeichnet, wenn es nicht Filme gäbe, die dem Wesen von Modianos Büchern näher kommen. Modianos Landsmann Claude Miller etwa hat in DAS AUGE von einem Mann erzählt, der verzweifelt versucht, in die Welt eines alten Klassenphotos einzudringen, auf dem er seine Tochter zu erkennen glaubt. Da ist all das drin, was Leconte abgeht: Unschuld und Verzweiflung, die Qual der unscharfen Erinnerung und die Suche nach der verlorenen Zeit.

Leconte, der sich in MONSIEUR HIRE und DER MANN DER FRISEUSE noch als Zauberer und in TANGO MORTALE eher als Scharlatan erwiesen hat, ist diesmal keines von beidem. Einerseits neigt er dazu, Modiano aufs bloß Nostalgische zu beschränken, andererseits findet er auch Momente, in denen etwas vom Schmerz sichtbar wird, den dieser Sommer hinterläßt. Da streift dann der wunderbar extravagante Jean Pierre Marielle wie ein Herrscher ohne Reich durch die winterlich ausgestorbenen Bars, und die Kamera tastet sich zu einem Chanson von Charles Aznavour die Wände eines Zimmers entlang. Der junge Erzähler folgt alledem im Schatten, als sei er nicht sicher, ob nicht alles nur ein Spuk war, nichts als ein funkelnder Reflex auf dunkler See.

Patrick Modiano, Goncourt-Preisträger für „Die Gasse der dunklen Läden“, wurde bei uns von Suhrkamp verlegt. „Eine Jugend“ ist noch von Peter Handke übersetzt worden, die letzten drei Romane sind auf deutsch nicht mehr erschienen. DAS PARFUM VON YVONNE ist also ein guter Anlaß, Modiano nun im zweiten Anlauf zu entdecken, wenigstens die Vorlage „Villa Triste“, deren Titel all das ausdrückt, was diesen Film ausmacht: einen Anflug von Eleganz und einen Hauch von Traurigkeit.

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