27. April 2011 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Moderato Cantabile

Sehnen nach Leidenschaft

Fast ein Paar: Jeanne Moreau und Jean-Paul Belmondo

Ein Hafenörtchen in der Gironde. Dort kommt es im Café zu einem Mord aus Leidenschaft. Die letzten Schreie der Frau sind weithin zu hören, auch im ersten Stock des Hauses nebenan, wo die Gattin des örtlichen Fabrikbesitzers gerade der Klavierstunde ihres Sohnes beiwohnt, der von der Lehrerin zurechtgewiesen wird, er solle sich nicht um das Geschehen vor dem Fenster kümmern, sondern um seine Diabelli-Sonatine. Aber irgendwann ist der Aufruhr draußen vor dem Fenster nicht mehr zu ignorieren, und man drängt sich zusammen mit den anderen Schaulustigen vor den Fenstern des Cafés, in dem der Mörder kaum vom Leichnam des Opfers zu lösen ist.

Jeanne Moreau ist als Fabrikantenfrau zwar erst einmal sehr um den Anschein eleganten Desinteresses bemüht, kann aber ihre Faszination von Anfang an schlecht verbergen. Mit ihrem Sohn schleicht sie ums Café herum, ehe sie ihn dann zum Spielen schickt, um am Tresen einen Roten zu bestellen und den Tatort zu besichtigen. Ihre Neugier bemerkt ein junger Mann (Jean-Paul Belmondo), der verspricht, sich kundig zu machen, was den Mordfall angeht, und ihr noch ein paar Gläser nachschenken lässt. Verzückt spekuliert sie über das, was die Boulevardblätter „Verwirrung des Herzens“ nennen, im Original „difficulté de coeur“.

MODERATO CANTABILE ist die Verfilmung eines Romans von Marguerite Duras, der im Stile des Nouveau Roman die Geschichte einer Leidenschaft seziert, indem er sie mehrfach bricht. Denn Moreau und Belmondo verbinden erst mal keine Leidenschaften und schon gar keine „Stunden voller Zärtlichkeit“, wie der deutsche Untertitel 1960 behauptete, sondern das gemeinsame Interesse an dem Mord. Ihre Sehnsucht nach dieser Unbedingtheit geht sogar so weit, dass Belmondo beider mögliche Geschichte zu Moreaus Entzücken mit fatalem Ende visioniert. Eigentlich ist es die Geschichte zweier Leute, die nach einer Geschichte suchen, die sie aus ihrem Kleinstadtschicksal erlöst, sie aber nicht bis ans Ende gehen wollen. Und so bleibt es am Ende doch nur beim kleinen Skandal, der unter den Teppich gekehrt werden wird.

Jeanne Moreau hat für diese Rolle 1960 in Cannes den Schauspielerpreis bekommen, aber in der Nouvelle Vague ist MODERATO CANTABILE eher lose verankert. Das mag daran liegen, dass der Theaterregisseur Peter Brook Regie führt, der das Kunstvolle und Statische der Konstruktion durch lange Kamerafahrten entlang der kahlen Bäume und Hafenmolen betont. Natürlich schaut man Moreau und Belmondo immer gern zu, und in der stimmungsvollen Tristesse wirken sie wie Leute, die in einen Simenon-Roman geraten sind, aber die Konsequenzen scheuen.