24. September 1985 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Micki und Maude

Das Schwere leicht erscheinen lassen

Blake Edwards' hinreißend komische Komödie MICKI UND MAUDE

Während die Wahlparty auf ihren Höhepunkt zutobt, stellen sich die Reporter der verschiedenen Fernsehteams in Positur für ihre Direktübertragungen. Die Kamera zeigt sie in einer langen Fahrt aufgereiht inmitten des Trubels, bis sie beim Team von „America Hey!“ anlangt: kein Moderator, keine Kamera. Beide befinden sich in einem Nebenzimmer, wo Rob Salinger, der pflichtvergessene Moderator, den Kindern des neugewählten Gouverneurs völlig unbekümmert den „Hinterzockerhebel“ einer Kamera erläutert. Auf der Heimfahrt hat Robs Frau Micki (Ann Reinking) kein Ohr für dessen Kinderliebe, so begeistert ist sie als Wahlhelferin über den Sieg des Gouverneurs.

In dieser Exposition steckt bereits alles, was zur Charakterisierung der Personen, der Schilderung ihrer Ehe nötig ist: Rob ist ein Journalist, der lieber seriöser Nachrichtenredakteur geworden wäre, statt vom Büfett der Wahlparty berichten zu müssen, und Micki hat ihrer Karriere wegen keine Zeit, Robs einzigen Wunsch zu erfüllen – ein Kind zu haben. Und weil wir uns erstens im verflixten siebten Jahr und zweitens in einer Komödie befinden, wird Rob bald nicht nur mit zwei Frauen, sondern sogar mit zwei schwangeren Frauen zu tun haben.

Blake Edwards hat eine selbst für Hollywood-Verhältnisse ungewöhnliche Karriere hinter sich. Trotz eines furiosen Starts in der Traumstadt schien Anfang der Siebziger seine Karriere nach Flops und Streitigkeiten beendet zu sein. „Und als mich neulich jemand fragte, ob es sich gelohnt habe, da mußte ich zu meiner größten Bestürzung feststellen, daß ich nooh nicht einmal mit Ja antworten konnte!“ Er kehrte Amerika den Rücken zu, meldete sich 1979 aber mit dem phänomenalen Erfolg der TRAUMFRAU zurück. Seither hat er sich als der letzte der großen amerikanischen Tradition verpflichtete Komödienregisseur bewiesen. Mit VICTOR VICTORIA, S.O.B., dem unterschätzten Truffaut-Remake FRAUEN WAREN SEIN HOBBY und jetzt MICKI UND MAUDE hat Edwards vorgeführt, daß auch in unserem Jahrzehnt klassische Komödien möglich sind und daß die Flut der Polizeiakademie-Streifen lediglich einen unnötigen Verfall der Kino-Sitten darstellt. MICKI UND MAUDE zeigt, was ein durchdachtes Drehbuch (Jonathan Reynolds) und eine präzise Regie nach wie vor vermögen: Auf so herzerwärmende Weise wurde ich im Kino schon lange nicht mehr zum Lachen gebracht.

Blake Edwards überläßt nichts dem Zufall, kein Thema taucht nur einmal auf, alles hat seinen festen Platz in der Dramaturgie. Das dient nicht nur der Komplexität des Films, sondern auch seiner Ökonomie. Wenn sich etwa Rob und Maude im Fernsehen Nathan Jurans SINDBADS SIEBTE REISE ansehen, ziehen sie Grimassen und gebärden sich auf dem Sofa wie die prähistorischen Ungeheuer im Film. Als sich Rob später im Krankenhaus gegen die Tür stemmt, um zu verhindern, daß seine beiden hochschwangeren Frauen aufeinandertreffen, verzerrt er sein Gesicht und Maude steigt auf das vermeintliche Spiel sofort ein, Hierin besteht die Meisterschaft des Regisseurs, der die ohnehin komische Situation noch überhöht, indem er verschiedene Ebenen des Humors verknüpft und beim Zuschauer durch den Wiedererkennungseffekt ein „doppeltes“ Lachen bewirkt. Edwards‘ Kunst besteht darin, nicht nur auf den Effekt der Wiederholung zu vertrauen, sondern gleichzeitig Handlungsfäden zusammenzuführen und die verschiedenen Themen sich überlagern zu lassen.

MICKI UND MAUDE ist eine Liebesgeschichte, oder besser zwei. Doch die Doppelung droht beständig, in ihr Gegenteil, die Negation, umzukippen. Indes, Edwards hält die Gratwanderung bis zum Schluß durch, indem er glaubwürdig und sympathisch gestaltet, was im wirklichen Leben unwahrscheinlich und verantwortungslos wäre. Aber schließlich kam es in Komödien noch nie auf Wahrscheinlichkeit, statt dessen auf Illusion an – worin erst sich die Kraft des Kinos offenbart. Für das Gelingen hier ist nicht zuletzt Dudley Moore, der laut Edwards einzig legitime Nachfolger Peter Sellers‘, verantwortlich, der wie ein Irrwisch zwischen den beiden Frauen hin- und herhetzt, beide liebt und von keiner lassen kann. Moore istfür diese Art von Komödie die Idealbesetzung. Er spielt den Prototypen des durch die Emanzipation verunsicherten Mannes, der sein Glück bei den Frauen selbst nie fassen kann. In einer der schönsten Szenen des Films – als er Maude (Spielberg-Gattin Amy Irving), die als Ersatz in einem kambodschanischen Streichquartett eingesprungen ist, gerade kennengelernt hat – sieht man ihn allein im Bild, wie er seine Interview-Fragen für die Kamera nachstellt; was ohne die dazwischenliegenden Antworten natürlich schwachsinnig wirkt. Und obwohl nur sein Gesicht gezeigt wird, kann man darin sofort ablesen, daß es zwischen den beiden gefunkt hat. Wieder die Überlagerung: Situationskomik und Liebesgeschichte, und der Zuschauer weiß, was die beiden noch nicht wissen – was dem Ganzen eine zusätzliche Dimension hinzufügt.

Blake Edwards hat ein Gespür für Schauplätze, die die Komik der Situation noch steigern: im Konzert, bei einem Stehempfang oder im Krankenhaus. Orte der gesellschaftlichen Konvention, die nicht zulassen, daß man sich an einem kambodschanischen Nationalgetränk verschluckt oder gesagt bekommt, daß man Vater wird. Nie fügen sich die Ebenen auf die gleiche Weise zusammen, jedesmal funktioniert der Humor auf andere Weise; immer jedoch basiert der Witz auf Suggestion und Illusion. MICKI UND MAUDE führt vor, wie das Gesagte – insbesondere, wenn es sich dabei um eine Lüge handelt – den Blick verändert. Wobei Edwards seinen Nutzen aus der Doppelung dieses Effekts zieht: Zufällig ergibt sich, daß beide Frauen zur selben Zeit in derselben Praxis zur Schwangerschaftsuntersuchung sind. Rob hat alle Hände voll zu tun, an zwei Orten gleichzeitig zu sein. Nur Schwester Verbeck wird mißtrauisch und verrät ihn. Um die Situation zu bereinigen, erklärt Rob Micki, daß die Schwester rauschgiftsüchtig sei und obendrein ein Verhältnis mit Dr. Fibel hat. Wonach das Geheimnis bewahrt bleibt und Micki beim Anblick der Schwester in Lachen ausbricht. Und der Zuschauer sieht die bedrohliche Situation mit anderen Augen, denn er weiß, was Rob weiß, was Micki irrtümlich glaubt und was die Schwester nicht weiß.

MICKI UND MAUDE ist nicht so bissig wie S.O.B. Und auf Bildebene nicht so meisterlich konstruiert wie DER PARTYSCHRECK. Aber es ist eine ungeheuer lustige, optimistische Komödie, wie man sie heutzutage im Kino nur noch selten sieht, und mit der Blake Edwards das Kunststück vollbringt, Schweres leicht erscheinen zu lassen.

(In München im Fantasia und ABC.)

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