20. November 1990 | Süddeutsche Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Meine Nächte sind schöner als deine Tage

Die Sprache der Liebe

Sprechen, lieben, schlafen, sterben. Davon erzählt Andrzej Zulawskis neuer Film mit dem wunderbaren Titel MEINE NÄCHTE SIND SCHÖNER ALS DEINE TAGE. Er ist eine Passage durch eine Welt, in der das Innerste nach außen gekehrt ist, eine Flucht vor den Phantomen des Verfalls, die von den morgendlichen Pariser Boulevards zu den kühlen Biarritzer Hotels führt.

Jacques Dutronc spielt einen Informatiker, der eine Sprache erfunden hat, die alle Computer verstehen. Aber in seinem Hirn sitzt ein Tumor, der langsam sein Sprachzentrum angreift. Die Worte kommen ihm abhanden: „Sie rollen weg wie Perlen von einer Kette.“ Er begegnet einer Hellseherin, gespielt von Sophie Marceau. Wenn er vor ihrer Schönheit den Blick senkt, setzt die Musik aus. Auf der Flucht vor ihren medialen Fähigkeiten kommt sie bei ihm zur Ruhe: „Nichts mehr wollen, nichts mehr wissen. Nichts mehr. Das Meer.“

Zulawski wagt in seinem Kino die ganz und gar lyrische Rede, die nur noch aus Rhythmus und Betonung besteht, aus Bewegung und Stille. Angetrieben werden seine Filme von einer Gefühls- und Sprachmotorik, die sich der Kontrolle der Figuren entzieht. Wenn sie schweigen, verlieren sie die Worte, wenn sie schlafen, fürchten sie, sie könnten nie mehr erwachen. So retten sie sich in die völlige Veräußerung ihrer Gefühle.

Inmitten der ganzen Überspanntheit gibt es dann aber Momente der Entspannung, in der alles Sehnen und Fliehen zur Ruhe kommt und die Liebenden zu sich selbst finden: Ein Erwachen am Morgen danach, Nacktheit und Sonne vor den Fenstern. Es kann in diesem Film passieren, daß jemand sagt „Ich habe Lust“, und es im nächsten Moment zu regnen beginnt.

Seit Jahren träumt Zulawski davon, Dostojewski zu verfilmen. So wird aus jedem seiner Filme (NACHTBLENDE, POSSESSION, DIE ÖFFENTLICHE FRAU) eine Vorstudie. In seinem neuen Film spielt Dutronc den Idioten, im Sprechen von epileptischen Ausfällen bedroht und im Fühlen aufrichtiger als alle anderen: „Alles, was ich hier tue, ist, nach Worten zu suchen – nur für dich.“ So findet Zulkawski seine Sprache der Liebe.

Schon sein erster französischer Film hieß im Original L’IMPORTAST C’EST D’AIMER.

(In München im Stachus-Kinocenter.)

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