13. Mai 1994 | Die Zeit | Filmkritiken, Rezension | Light Sleeper

LIGHT SLEEPER von Paul Schrader

Schlaflos in New York

Er konnte nicht schlafen, also suchte er sich einen Job als Taxifahrer. So ließ er sich durch die New Yorker Nächte treiben und träumte dabei vom großen Regen, der allen Dreck von den Straßen spülen würde. Er stählte seinen Körper, trainierte seine Reflexe und besorgte sich Waffen. Dann zog er los und übte Selbstjustiz. Sein Name war Travis Bickle, sein Film hieß TAXI DRIVER.

Er sah gut aus, liebte den Luxus und arbeitete als Callboy. In seinem schwarzen Coupé glitt er unter kalifornischer Sonne dahin und genoß die eigene Makellosigkeit. Er hielt seinen Körper in Form, lernte Sprachen und feilte an seinem Auftreten. Dann schob man ihm einen Mord in die Schuhe, und alle wandten sich von ihm ab. Sein Name war Julian Kay, sein Film hieß AMERICAN GIGOLO.

Er ist Drogenkurier und beliefert nur Leute, die sich den Stoff auch leisten können. In einer Limousine läßt er sich zu den Kunden chauffieren und hat dabei viel Zeit zum Nachdenken. Seine Chefin will sich aus dem Geschäft zurückziehen, und er hat noch keine Pläne für die Zukunft. Dann trifft er seine frühere Frau und glaubt, er könne seine Fehler wiedergutmachen. Sein Name ist John Le Tour, sein Film heißt LIGHT SLEEPER.

Robert De Niro, Richard Gere und Willem Dafoe spielen die Hauptrollen in diesen drei Filmen, die Paul Schrader geschrieben und mit Ausnahme des ersten auch inszeniert hat „Es ist das dritte Mal“, sagt Schrader über LIGHT SLEEPER, „daß ich über diese Figur geschrieben habe. Über einen Mann am Rande der Gesellschaft, einen Beobachter, der sich treiben läßt. Er verfolgt die Leben anderer Leute und hat dabei im Grunde selbst keines. Als Zwanziger war er zornig, als Dreißiger selbstzufrieden, und nun als Vierziger hat er einfach Angst.“

Die wilden Jahre sind vorüber, die alten Ausflüchte taugen nichts mehr: Der Taxi Driver konnte noch in die Paranoia fliehen, der American Gigolo in den Narzißmus, nur für den Light Sleeper gibt es, nachdem er den Drogen abgeschworen hat, keinen Ausweg mehr aus der Realität. Die Ernüchterung hat auch die Bilder erfaßt: Wo „Taxi Driver“ einst den Asphaltdschungel beschwor und AMERICAN GIGOLO die Designerwelt zelebrierte, da haben in LIGHT SLEEPER die Interieurs wie Exterieurs jede Ausstrahlung verloren. Aber dadurch wird nicht etwa der Blick frei fürs Wesentliche, sondern er verliert jeden Halt.
Schon die erste Einstellung zeigt, daß sich etwas geändert hat im Verhältnis zwischen Held und Welt. Wo sich früher das Taxi bedrohlich durch die Dampfschwaden schob und später das Sportcoupe elegant durchs Sonnenlicht glitt, da hält nun die Kamera den Blick müde auf den Asphalt gesenkt. Wenn sie ihn dann an der Ampel hebt, starrt sie ungerührt auf ein New York ohne Reiz und Glanz. Wo die anderen Helden in ihren Wagen selbst für Bewegung sorgten, da wird Le Tour von Anfang an zur Passivität verurteilt, zum Beobachter verdammt.

In seinem selbstgerechten Zorn war Robert De Niro genauso eins mit seinem Körper wie Richard Gere in seiner selbstgefälligen Eitelkeit. Bei Willem Dafoe hat die nervöse Energie der Schraderschen Helden nun kein Ventil mehr zum Entweichen. Der sonst so geschmeidige Dafoe wirkt seltsam ungelenk in diesem Film, und seine etwas dekadenten, fahlen Züge künden fortwährend davon, daß dieser Mann sich in seiner Haut nicht wohl fühlt. Selten hat sich dieses Unwohlsein im Kino auf so physische Weise mitgeteilt.

Dabei hat die Angst, von der Schrader spricht, keine greifbaren Ursachen. Le Tours Drogendeals bergen kaum Gefahr, sein Alltag verläuft ohne Aufregungen. Dennoch hat man ständig das Gefühl, es könne etwas Schreckliches passieren. Wenn es dann allerdings kommt, trifft es einen trotzdem völlig unvorbereitet. Dann greift auch Le Tour zur Waffe und nimmt sein Leben in die Hand. Aber bei Schrader gibt es keine Befreiung durch die Tat, sie verstrickt den Helden nur noch tiefer in sein Elend. Das einzige, was die Leidensfiguren des Calvinisten Schrader erlösen kann, ist die Gnade. Und die kommt allein aus der Hand der Frauen.

Da gibt es Ann (Susan Sarandon), die ihren Drogenhandel wie einen Familienbetrieb führt und ihre beiden Mitarbeiter fast mütterlich behandelt. Weil sie nun endgültig auf Kosmetik umsatteln will, macht sie sich Sorgen um den Verbleib von John Le Tour. Uns bleibt immer Paris, sagt er im Scherz bei einem gemeinsamen Mittagessen und weiß nicht, daß das seine Gefühle für sie genau trifft.

Ehe Le Tour sich über die Zukunft klarwerden kann, muß er ohnehin erst mit seiner Vergangenheit ins reine kommen. Bei einer seiner Fahrten hat er im Regen seine ehemalige Frau Marianne (Dana Delany) getroffen. Einst haben sie zusammen Drogen genommen, jetzt sind beide clean. Aber weil sie wohl ahnt, daß ihre Nüchternheit an einem seidenen Faden hängt, versucht sie ihn abzuwehren wie die Erinnerung an einen schlechten Traum. Le Tour jedoch sieht in ihr die Chance, die Vergangenheit zu vergessen und noch einmal neu anzufangen: Als könnte darin jene Zukunft liegen, die er so fürchtet.

Einen Moment lang sieht es auch so aus, als die beiden in ein Hotel gehen und sich lieben, als wäre es das erste Mal. Hinter den verschlungenen Körpern sieht man Vermeers Spitzenklöpplerin als Wandbespannung; aber gerade als man glaubt, Schrader habe zu seinen alten stilvollen Arrangements zurückgefunden, da wechselt plötzlich das Licht in ein giftiges Grün und macht deutlich, daß die schöne Illusion eines Neubeginns schon vorbei ist, ehe sie wirklich verfangen konnte.

Ob es Schicksal oder Zufall ist, was die beiden wieder trennt, spielt keine Rolle. Die Welt ist bei Schrader so oder so ein Gefängnis, und das einzige, was am Ende wirklich zählt, ist jene Geste, mit der schon der American Gigolo die Gnade empfing: ein Senken der Stirn zur Hand der Frau, die dem Mann alles geopfert hat. Schrader und seine Helden sind vielleicht älter geworden, aber was die Metaphysik angeht, ist er ganz der alte geblieben.

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