25. Dezember 1987 | Die Zeit | Filmkritiken, Rezension | Liebeszauber

Kino: Carlos Sauras Tanz-Märchen LIEBESZAUBER

Und jeder Blick ein Punkt

Alle in diesem Gewerbe tun es, aber kaum einer redet darüber. Niemand weiß so recht, wie es eigentlich funktioniert, doch zuschauen tut jeder gem. Viele wissen, daß es sich dabei lediglich um Chemie handelt, und dennoch würden nur wenige bestreiten, daß auch Magie im Spiel sein muß. Objektiv betrachtet passiert nichts anderes, als daß in einem dunklen Gehäuse Licht auf eine empfindliche Emulsion trifft. Diesem Akt will Carlos Saura in seinen letzten Filmen auf die Schliche kommen. Das ist nicht Liebeszauber, sondern Eastmancolor.

Der Spanier weiß, daß irgendwo bei seinem Arbeitsprozeß etwas Wunderbares, Geheimnisvolles geschieht. Jetzt hat er sich auf die Suche gemacht nach dem Ort, wo die pure Chemie mit einem Mal die reine Magie erzeugt. Seine letzten Filme um und mit dem Tänzer Antonio Gades werden von dieser einen forschenden Bewegung beherrscht, die im Grunde immer wieder auf sich selbst verweist. Ganz langsam beginnt LIEBESZAUBER mit einem Blick durchs Studiotor. Dann schließt sich das Tor, und die Kamera schweift ab, irrt an Gerüsten und Leinwänden vorbei durch die Kulissen und macht sich auf den Weg zum Spielgeschehen.

Dort in der Hallenmitte hat man vor dem abendlich blau bemalten Horizont ein Zigeunerlager eingerichtet. Und ganz sanft schwebt der Blick hinein ins Geschehen, als habe er Angst, den Moment zu verpassen, an dem aus der Inszenierung für den Zuschauer Illusion wird. Jenen Schnittpunkt nämlich, wo die Kamera eine unsichtbare Grenze überschreitet, sich auf einmal die Vorzeichen ändern, und die Realität in Fiktion umschlägt. Sauras neue Filme sehen aus, als sei ihm das Selbstverständnis seiner Arbeit abhanden gekommen, als wolle er jetzt herauskriegen, wie das funktioniert: Kino.

Die Ergebnisse mögen sich unterscheiden, die Methoden sind die gleichen. Ob BLUTHOCHZEIT (1981), CARMEN (1983) oder LIEBESZAUBER (1985), sie alle passieren mehr oder weniger oft die Grenze, die Erfindung und Wirklichkeit trennt. Von den Proben zur Aufführung, aus der privaten Affäre in die gespielte Handlung, durchs Studiotor ins Spielgeschehen. Saura zwingt unseren Blick auf subtile Weise immer wieder ins Räderwerk der Imagination.
Daß Saura mit diesem Tanzfilm nur auf sicheres Geld aus ist, hat man ihm vorgeworfen und dabei übersehen, daß er zur selben Zeit auch noch drei andere Filme gedreht hat. Weil man sich nicht vorstellen kann, daß ein Chronist der spanischen Bourgeoisie und Schilderer komplexer psychischer Vorgänge auf einmal Gefallen findet an geradezu plakativ einfach gestrickten Geschichten um Leidenschaft und Liebe. Dabei versucht er nur, sich den Blick freizuräumen auf das, was auch seine anderen Filme angetrieben hat.

Der Plot von LIEBESZAUBER ist simpel, und Saura tut nichts, um das zu verbergen. Candela (Christina Hoyos) und Jose (Juan Antonio Jimenez) wurden einander schon als Kinder versprochen und heiraten auch, sobald sie erwachsen sind. Doch sie wird heftig von Carmelo (Antonio Gades) begehrt, und er hat eine Affäre mit Lucia (Laura del Sol).

Nach der Hochzeit wird Jose bei einem Kampf erstochen, und Carmelo wanden dafür ins Gefängnis. Als er nach vier Jahren zurück ins Dorf kommt, ist der Weg zu Candela versperrt, weil sie vom Geist des Toten besessen ist. Um diesen Liebeszauber zu bannen, muß Carmelo erst den Geist mit Lucia konfrontieren.

Die Geschichte erzählt von den rätselhaften Kräften, die in der Liebe wirken, von Zauber und Magie. Doch Saura kommt es nicht darauf an, sich mit diesen Kräften zu verbünden. Er siedelt seine Szenen auf dem künstlichen Nährboden des Studios an und beobachtet jedes Resultat einzeln. Weil er sich nicht für den Fortgang des Plots interessiert, liegen dessen Nervenstränge frei. Die Kamera verweilt bei den Tanzenden und versucht in Bildern einzufangen, wovon sonst Worte sprechen.

Der Film hat deswegen Rhythmus, Geduld und Genauigkeit, aber er hat nichts, was nicht schon die beiden anderen Tanzfilme ausgezeichnet hätte. Seine Versuchsanordnung taugt nicht, um dem Kino auf die Spur zu kommen. Hitziger Flamenco und heiße Folklore vernebeln Saura am Ende doch den kühlen Blick. Und so rührend manche Momente auch sein mögen, so wenig zeichnet Saura der klare, analytische Verstand aus, wie ihn etwa Resnais oder Antonioni besitzen.

Der Film macht nicht viele Worte. Und doch spricht er eine deutliche Sprache. Jeder männliche Schritt ist ein Ausrufezeichen, jedes weibliche Wiegen in der Hüfte ein Fragezeichen und jeder Blick ein Punkt. Am Anfang wird in einer unendlich langsamen Überblendung auf das Gesicht des kindlichen Carmelo das von Gades gelegt. Jahrzehnte verstreichen im Nu und hinterlassen ihre Spuren. Man kann zusehen, wie die Zeit einen Menschen zeichnet. Das ist ein ganz simpler Effekt, vielleicht nur ein Taschenspielertrick. Aber darin liegt möglicherweise der wahre Zauber des Kinos.

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