29. Januar 2005 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Lemony Snicket – Rätselhafte Ereignisse

Zum Glück wird alles immer schlimmer

Spaß ohne Happy-End: Brad Silberlings Film LEMONY SNICKET - RÄTSELHAFTE EREIGNISSE

Das Vorlesen von Kinderbüchern gilt womöglich zu Recht als pädagogisch wertvoll, aber wer jahrelang am Kinderbett die unsäglichen Abenteuer des Elefanten Babar oder Marathonsitzungen von HARRY POTTER durchlitten hat, der weiß, daß das Vergnügen mitunter sehr einseitig sein kann. Mag sein, daß es Ausnahmen gibt, aber nur von einer soll hier die Rede sein: den überraschend intelligenten und vor allem witzigen Bücher von Lemony Snicket, die vom durch und durch traurigen Schicksal der Waisenkinder Violet, Klaus und Sunny Baudelaire erzählen.

In Amerika ist Lemony Snickets „Series of Unfortunate Events“ phänomenal erfolgreich, bei uns hingegen kaum bekannt. Der Verlag Beltz & Gelberg hatte zwar in den vergangenen Jahren neun von elf der auf dreizehn Bände angelegten Reihe von „schaurigen Geschichten“ herausgebracht, aber auch die unglückliche Idee, auf die wunderbaren Illustrationen von Brett Helquist zu verzichten und Umschläge entwerfen zu lassen, auf denen der Junge Klaus verdächtig nach Harry Potter aussieht. Ob es daran gelegen hat, daß die Reihe nicht in Schwung kam, läßt sich natürlich nicht sagen,. Aber es wurde als Abklatsch verkauft, was von so eigenständiger Originalität ist, daß es Goldmann anläßlich der Verfilmung mit einer Neuauflage versucht, diesmal allerdings in der ursprünglichen Gestaltung mit Helquists Illustrationen und dem treffenderen Titel „Eine Reihe betrüblicher Ereignisse“, der Ironie und Understatement des Originals beibehält. Die ersten drei Bände sind bereits erschienen, bei denen sich auch Brad Silberlings erfreulich buchgetreue Verfilmung bedient.

Der Witz an Lemony Snickets Büchern ist, daß das Schicksal der Baudelaire-Waisen stets die schlimmstmögliche Wendung nimmt und der Autor keine Gelegenheit ausläßt, geradezu genüßlich vor diesem Umstand zu warnen. Das klingt dann etwa so: „Ich bedaure, dir mitteilen zu müssen, lieber Leser, daß von jetzt an alles immer nur noch schlimmer wird. Von allen Menschen auf dieser Welt, die ein elendes Leben führen – und davon gibt es, wie du sicherlich weißt, eine ganze Menge – schießen die jungen Baudelaires zweifellos den Vogel ab, ein Ausdruck, der hier so viel bedeuten soll, wie daß ihnen mehr schreckliche Dinge zugestoßen sind als vermutlich irgendwem sonst.“

Dies sind also Kinderbücher im hauchdünnen Gewand von viktorianischen Schauerromanen, deren Hang zum Moralisieren vom Erzähler fröhlich gegen den Strich gebürstet wird. Lemony Snicket ist das Pseudonym des Amerikaners Daniel Handler, der sich als Zehnjähriger mit langatmigen Fantasy-Romanen und erbaulichen Sportgeschichten gelangweilt und also geschrieben hat, was er damals gerne gelesen hätte. Seine Vorbilder waren Gorey, Dahl und Poe, deren Düsternis er kindgerecht aufbereitet, ohne irgendwen für dumm verkaufen zu müssen. Schließlich ist es nie zu früh, Kinder mit schwarzem Humor vertraut zu machen. Wenn man allerdings die Kundenrezensionen auf den einschlägigen Internet-Seiten liest, ist das ein pädagogischer Ansatz, den nicht alle Eltern zu teilen scheinen. Aber nicht umsonst warnt Snicket gleich zu Beginn, wer lieber Geschichten mit einem Happy-End lese, solle das Buch besser gleich aus der Hand legen.

Die Entschlossenheit der Filmemacher, diesem Ton der Vorlage gerecht zu werden, zeigt sich denn auch in der Art, wie sie diese Warnung umsetzen. Man sieht eine liebliche Landschaft, in der possierliche Wesen durch die Gegend hüpfen, und wähnt sich schon im falschen Film, als das Bild zum Stillstand kommt und der Erzähler (im Original Jude Law) sich zu Wort meldet: Wer einen Film in dieser Art erwarte, solle schleunigst den Saal verlassen. So geht es munter weiter. Die drei Baudelaire-Kinder, die erfinderische Violet, der belesene Klaus und die beißwütige Sunny erfahren am Meeresstrand von ihrem Vormund (Timothy Spall), daß ihr Heim abgebrannt und ihre Eltern ums Leben gekommen sind und sich fortan ein entfernter Onkel um sie kümmern werde. Dieser Mann ist Graf Olaf, exzentrischer Anführer einer sinistren Schauspieltruppe, der fortan in allen möglichen Verkleidungen versucht, an das Vermögen der Baudelaires zu kommen. Gespielt wird er dankenswerterweise von Jim Carrey, dessen ausufernde Art zur Abwechslung das reinste Vergnügen und auch völlig angemessen ist. Aber auch Meryl Streep hat als übervorsichtige Tante offenbar ihren Spaß.

Brad Silberling erliegt nicht der Versuchung, die Schauergeschichte in eine Actionklamotte zu verwandeln, sondern setzt mit viel Liebe und der Hilfe von Kameramann Emmanuel Lubezki und Ausstatter Rick Heinrichs, die schon in Tim Burtons SLEEPY HOLLOW ihr Talent für bizarre Stimmungen bewiesen haben, diese eigentümliche Welt in Szene, die irgendwo zwischen viktorianischem England und amerikanischer Depression, zwischen MARY POPPINS und NIGHT OF THE HUNTER beheimatet ist. Man könnte dem Film höchstens vorwerfen, daß er so mit dem Ausmalen bildgewaltiger Szenarien beschäftigt ist, daß er manchmal seinen erzählerischen Rhythmus aus den Augen verliert. Dann hängen die drei Waisen etwas in der Luft, aber schließlich entspricht das durchaus ihrer Situation. Letztlich liegt das größte Verdienst des Films ohnehin darin, einigen Eltern mehr Spaß beim Vorlesen zu bescheren.

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