05. Dezember 2003 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Heimliche Spiele

Liebe etc.

Jean-Claude Brisseaus Film HEIMLICHE SPIELE

Was am meisten überrascht an diesem Film, ist die Tatsache, daß die Cahiers du cinéma ihn unter die zehn besten des Jahres 2002 gewählt haben. Denn je länger der Film dauert, desto weniger glaubt man seinen Augen zu trauen. Das Finale unterscheidet sich nur noch kaum von etwas anspruchsvolleren Pornos. Die Beleuchtung ist geschmackvoll, die Kopulationen sind arrangiert wie Tableaus, aber das Spiel ist hölzern, und das Fleisch bleibt kalt. Interessante Wahl für eine Bestenliste. Andererseits leben Filmzeitschriften von ihrem esoterischen Geschmack, den Rest besorgt ohnehin der Mainstream.

Jean-Claude Brisseau, der sich Ende der achtziger Jahre mit LÄRM UND WUT und WEISSE HOCHZEIT einen Namen gemacht hat, inszeniere seine HEIMLICHEN SPIELE, so die Cahiers, im Geiste von Marx und de Sade. Konkret sieht das so aus, daß eine Stripperin und eine Aushilfskellnerin beschließen, es als Sekretärinnen zu was zu bringen, indem sie ihren Körper einsetzen. Wie man Scham überwindet und Lust als Instrument einsetzt, bringt die Erfahrenere (Sabrina Seyvecou) ihrer Schülerin (Coralie Revel) bei, indem sie einige Situationen durchspielen. Erst muß sich die Jüngere vor den Augen der anderen streicheln, dann einen Orgasmus vorspielen, dann in der Métro unterm Mantel den BH ausziehen oder ohne Höschen durch die Stadt laufen. Dabei ist eine Lust am unbefangenen Spiel am Werk, die man Charme nennen könnte. Doch in ihrem Aufstieg in einem namenlosen Konzern, in der Verführung der Vorgesetzten eine Auseinandersetzung mit dem Thema Sexualität und Arbeitswelt zu sehen täte dem Film schon zuviel Ehre an.

Die unbedarfte Art der Darsteller mag durch den modellhaften Charakter dieses Gesellschaftsspiels entschuldigt sein, in dem das Individuum nur als Platzhalter fungiert, aber die Tatsache, daß ihr Spiel so flach wie eine Blaupause bleibt, läßt das Experiment bald nur noch leblos wirken. Daß man nie weiß, ob Gefühl oder Berechnung am Werk sind, macht die Szenen kaum spannender. Die Vermutung, daß die Frauen ihrem Plan zum Trotz irgendwann ihr Herz verlieren werden, trifft auf bestürzend schlichte Weise ins Schwarze. Um als filmische Beweisführung allein bestehen zu können, fehlt dem Film jene mathematische Schönheit, die etwa den KONTRAKT DES ZEICHNERS beflügelte.

Die Franzosen scheinen in letzter Zeit entschlossen, ihrem Ruf nachzukommen, mehr als andere die Liebe als schöne Kunst zu betreiben. Im Kino wie in der Literatur werden wieder die Grenzen der Begierde ausgelotet, doch bei Brisseau wird davon kaum mehr spürbar als in jenen Filmen, die sich der Ausbeutung der Lust widmen. Aber dort sind wenigstens die Absichten deutlich.

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