19. Februar 2002 | Frankfurter Allgemeine Zeitung | Filmkritiken, Rezension | Hearts in Atlantis

Nur Blattgold

HEARTS IN ATLANTIC: Scott Hicks verfilmt Stephen King

Stephen King ist ein Meister der amerikanischen Idylle, und das muß er auch sein, damit der Schrecken eine größere Angriffsfläche hat. Im Grunde ist er ein Genremaler, nur daß er statt Farben gerne Blut verwendet. Aber alles lebt erst mal von seinen Beschwörungen verlorener Paradiese, von kindlicher Unschuld und kleinstädtischer Harmonie, die er in schillernden Farben ausmalt. Vor dieser Folie bildet King dann die Ängste ab und hat auf seine Weise Amerika in ein Reich der Paranoia verwandelt.

HEARTS IN ATLANTIC ist eine schöne Geschichte übers Heranwachsen, in die sich dann hinterrücks die Ängste der frühen sechziger Jahre einschleichen. Aber wenn man so will, dann sind Regisseur Scott Hicks (SHINE) und sein Drehbuchautor William Goldman der Vorlage auf den Leim gegangen. Sie sehen überall nur das Blattgold der verklärenden Erinnerung, wo die wahre Geschichte eher in den Schatten verborgen liegt. So verliebt sind sie in den tränenfeuchten Schimmer verlorener Jugend, daß sie ganz blind sind für die politischen Implikationen, die in HEARTS IN ATLANTIC verborgen liegen.

Es beginnt mit einer Rückblende: Ein Jugendfreund ist gestorben, ein Baseballhandschuh katapultiert den Helden zurück ins Jahr 1960, als er allein mit seiner Mutter aufwuchs, die dauernd mit ihrem Witwengeschick haderte und den Jungen kurzhielt. Ein älterer Mann taucht als Untermieter auf, mit dem der Junge sich schnell zum Mißfallen seiner Mutter anfreundet. Nach und nach stellt sich heraus, daß der mysteriöse Mieter nicht nur hellseherische Fähigkeiten hat, sondern auch verfolgt wird. Seine Rolle bleibt so unklar wie die Gründe seiner Flucht, aber als Vaterersatz taugt er prächtig.

Anthony Hopkins spielt diesen Mann, der immer wieder unter Absenzen leidet, mit jener Mischung aus Ruhe und Wahn, in der er sich seit einiger Zeit behaglich eingerichtet hat. Man fühlt sich in seiner Gegenwart im Kino immer wohl, aber selten wirkte seine Präsenz so wenig überzeugend. Schon die Art, wie er ganz kumpelhaft aus der Flasche trinkt, besitzt eine Selbstgewißheit der Geste, die das Gegenteil von Natürlichkeit ist. Man sieht eben einen Schauspieler, der das Trinken aus der Flasche zelebriert. Und es wird auch nicht besser, wenn er dem Jungen ein Footballspiel nacherzählt, das zur Parabel aufgebauscht wird – Hopkins bewegt sich da sichtlich auf unvertrautem Terrain.

William Goldman hat aus Stephen Kings „Misery“ einst ein atemberaubendes Drehbuch gemacht; bei HEARTS IN ATLANTIC hat er sich in eine gewisse Märchenseligkeit geflüchtet, die in der Art, wie die Probleme im ungefähren belassen werden, fast an die Betulichkeit eines Kinderfilms erinnert. Dabei könnte das langsame Auftauchen von bedrohlichen Zeichen, mit denen die Wirklichkeit ins Idyll eindringt, einem bei geschickterer Inszenierung durchaus die Haare zu Berge stehen lassen – schließlich werden am Ende die Mutter vergewaltigt und der alte Mann entführt. Aber Hicks taucht lieber die Jugend in ein goldenes Licht und spielt dazu die Hits jener Jahre: „Smoke Gets In Your Eyes“. Aber vor lauter Rauch sieht man dann nichts mehr.

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