01. Juni 1988 | Tempo | Filmkritiken, Rezension | Hairspray

Treibgasträume

John Waters wütet wieder. Der Großmeister des schlechten Geschmacks demontiert in seinem neuen Film die 60er Jahre. Und setzt seiner Lieblingsschauspielerin ein Denkmal: HAIRSPRAY ist der letzte Film der göttlichen Divine.

Hoch oben im Pantheon der Film-Göttinnen gibt es ein Zimmer, das ganz in Rosa gestrichen ist. Dort wohnt seit dem 7. März dieses Jahres Divine. Jeden Nachmittag finden sich bei ihr die anderen Ladies ein, die Gangster Molls und Baby Dolls. Sie sehen ihrer Freundin beim Bügeln zu, trinken Kaffee und halten ein Schwätzchen. Schließlich wird selbst das Dasein einer Göttin auf Dauer langweilig. Nur im rosa Zimmer können sie vergessen, bei Divine, der Megamatrone und Monstertunte, diesem göttlichen Goldfisch aus den Kloaken des Kinos, der aussieht, als sei er dem Delirium eines übergeschnappten Friseurs entsprungen.

Ist er ja auch. Denn als Divine noch Harris Glenn Milstead hieß, war sie ein junger Coiffeur mit hoffnungsvoller Zukunft. 1966 wurde sie zum Travestiestar: Ein ehemaliger Schulfreund aus Baltimore machte Divine zum Hauptdarsteller seines ersten Films. Der Name des Schulfreunds: John Waters. Der Titel des Film: ROMAN CANDLES. Das Werk ist verschollen, aber vermutlich war es so wie all die anderen Filme, die Waters und Divine später drehten: Eine einzige göttliche Ejakulation aus schmutzigen Einfällen und bösartigen Ausfällen. 1972 spielte Divine die abschaumgeborene Venus in PINK FLAMINGOS, 1975 in FEMALE TROUBLE und 1981 in POLYESTER, einem Film, der zum Himmel stank: Kannibalismus und Vergewaltigung in den Suburbs, debile Omis im Laufstall und leckere Desserts aus Hundekot, wildgewordene Friseure und hysterisch bügelnde Muttis. Es war die Pest, und der Zuschauer bekam alles auch noch unter die Nase gerieben. Waters erfand „Odorama“: Besuchern von POLYESTER wurden an der Kasse Geruchskarten gegeben. Sobald auf der Leinwand eine bestimmte Zahl erschien, mußte man kräftig rubbeln. Pfui Teufel! Nicht umsonst trug Waters‘ PINK FLAMINGOS den Untertitel: „An exercise in bad taste“ – „Eine Übung in schlechtem Geschmack“.

Im Grunde macht Waters etwas Ähnliches wie Frank Tashlin in den späten 50ern und frühen 60ern mit Jayne Mansfield oder Anita Ekberg: Er treibt die Drallheit auf die Spitze. Tashlins Filme sahen wie gigantische, aufgeblähte Luftballons aus; Waters hat seine Filme noch weiter aufgeblasen. Die dabei entstandenen Löcher hat er nur ungenügend geflickt, so daß dauernd faulige Düfte entweichen. So entstand sein Kino der Blähungen.

Gottlob bleibt uns im neuen Film von Waters und Divine das Odorama-Verfahren erspart. HAIRSPRAY beginnt mit einer Sprayorgie. Debil grinsende Jugendliche nebeln sich von oben bis unten ein, und man hört die Songzeile: „What are you doing over there? – Can’t you see. I’m spraying my hair.“ Die Logik des Films entspricht der genialen Einfachheit dieses Reims. Und John Waters entwickelt daraus echten Drive, angespornt durch die Musik von Chubby Checker und Konsorten. Baltimore 1962 – die falschen Fünfziger sind noch nicht überwunden. Die Kids tanzen vor der Glotze zur Musik der Corny-Collins-Show, und die glücklicheren unter ihnen dürfen dort auch auftreten und vortanzen.

„Oh Mom, you’re so fifties“, sagt die kleine dicke Tracy Turnblad zu ihrer Mutter (Divine), weil die sie nicht zur Show lassen will. Als Tracy trotzdem hingeht, wird sie mit ihrer Nilpferdgrazie sogar aufgenommen unter die Tänzer, mehr noch, sie wird zum heimlichen Star der Crew und zu einer ernsthaften Anwärterin auf den vielbegehrten Titel der „Miss Auto-Show 1963″. Nur eine neidet ihr den Erfolg: Amber Van Tussel, Töchterchen aus reichem Hause und Minivamp à la Kim Novak. Vor lauter Ärger sprießt auf Ambers Kinn ein Pickel, die Karriere ist in Gefahr. Kein Problem: Die Mutter (Debbie „Blondie“ Harry) stülpt sich ihre Gummihandschuhe über, preßt und drückt, und – flatsch – klebt das Ding an der Wand. Der Angriff der Killerpickel auf den guten Geschmack. Ansonsten hält sich Waters diesmal zurück: In Amerika ist HAIRSPRAY jugendfrei, das gab’s noch nie bei Waters.

Aber der Master of Trash hat ein Anliegen. Dafür braucht er ein breites Publikum. Er kämpft in HAIRSPRAY gegen die Angst vorm schwarzen Mann. Das Dickerchen Tracy weiß, was Vorurteile anrichten, und findet bald Freunde unter den Schwarzen. Ihren neuen Ruhm will sie dazu benutzen, die Schwarzen in die reinweiße Corny-Collins-Show zu integrieren. 1962 war das Jahr der Rassenunruhen und der Bürgerrechtsbewegung, und Baltimore war die Grenzstadt zwischen dem schwarzen Süden und dem weißen Norden.

Bei John Waters sieht der Klassenkampf so aus: Die reichen, weißen Kids verwenden noch Haarspray, während die schwarzen Beatniks ihre Haare glattbügeln und propagieren: „Let’s go naked and smoke!“ Das ist selbst Tracy zuviel. Erst später wird sie merken, daß Haarsprays im wahrsten Sinne des Wortes konservativ sind.

John Waters macht aus der gesellschaftlich haarigen Angelegenheit ein gelglattes Politmusical. Was lernen wir daraus? Daß die Sixties jetzt erst so richtig ins Swingen kommen. Und daß uns das eine Menge Spaß bringt.

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