19. April 1991 | Die Zeit | Filmkritiken, Rezension | Grifters

GRIFTERS von Stephen Frears

Trio infernal

Sie sind Betrüger. Sie leben davon, daß die Leute glauben, was sie sehen. Wo Geld im Umlauf ist, mischen sie sich ein. Nicht im großen Stil, aber in schöner Regelmäßigkeit. Das einzige Gesetz, das sie befolgen, ist das der Wahrscheinlichkeit. Das ist ihr Verhängnis. Denn auch mit allem Geschick läßt sich auf Dauer nicht vermeiden, daß das Unwahrscheinliche eintritt. Ein Narr, wer dies Zufall nennt.

Es ist sehr wahrscheinlich, daß es Roy gelingt, in einer überfüllten Bar einen Zehner als Zwanziger zu verkaufen. Unwahrscheinlich ist, daß der Wirt auf denselben Trick vor kurzem schon einmal hereingefallen ist und Roy mit einem Baseballschläger die Rippen einschlägt. Es ist sehr wahrscheinlich, daß es Myra gelingt, mit ihren körperlichen Reizen ein Schmuckstück zu ergaunern. Unwahrscheinlich ist, daß es sich dabei um eine Fälschung handelt. Es ist sehr wahrscheinlich, daß es Lily gelingt, beim Pferderennen durch gezielte Wetten im Auftrag des Buchmachers, für den sie arbeitet, die Quoten zu drücken. Unwahrscheinlich ist, daß sie dabei einmal zu spät kommt und daß genau dann ein Außenseiter das Rennen gewinnt.

Es ist sehr wahrscheinlich, daß das Unwahrscheinliche eintritt. Das nennt man Tragödie. Aber daß sich die Geschehnisse dramatisch verdichten, daran sind Donald Westlake (Drehbuch), Martin Scorsese (Produktion) und Stephen Frears (Regie) überhaupt nicht interessiert. Das Geschehen vollzieht sich in GRIFTERS mit einer Beiläufigkeit, die auch die letzte Illusion zerstört. Damit kommt dieser Film den unmoralischen Geschichten von Jim Thompson sehr nahe.

Myra ist Roys Geliebte, Lily ist seine Mutter. Die beiden wachen eifersüchtig übereinander. Dabei geht es nicht um Gefühl, sondern um Gewinn. Weil ihre Geschäfte sie zufällig nach Kalifornien führen, schaut Lily bei ihrem Sohn vorbei. Ihre mütterlichen Gefühle erwidert er nicht, aber auf die mütterliche Sorge ist er plötzlich angewiesen. Denn der Schlag auf die Rippen hat zu inneren Blutungen geführt, weshalb ihn Lily auf schnellstem Wege ins Krankenhaus bringt. Dadurch kommt sie zu spät zum Pferderennen, wo der Sieger siebzig zu eins zahlt. Und ihr Boss läßt sich nichts vormachen. Mit einer Zigarre verbrennt er ihr den Handrücken. Die Welt der Grifters ist eine Welt ohne Mitleid.

Angelica Huston, John Cusack und Annette Bening sind eine atemberaubende Besetzung für dieses seltsame Trio infernal. Sie maskieren sich mit jener Unauffälligkeit, die sie für ihre Gaunereien brauchen, und wirken darum um so auffälliger wie Marionetten. Fast mechanisch bewegen sie sich durch den Film, von einer Gier getrieben, die ihre Gesichter und Gefühle verzerrt hat. So sind sie Schauspieler ihrer selbst geworden, aber ihre Rollen sind dabei so zur Routine verkommen, daß sie sich selbst kaum mehr glauben können. Daran sind schon der Vicomte de Valmont und die Marquise de Merteuil zugrunde gegangen. Aber wo die adeligen Intriganten in den GEFÄHRLICHEN LIEBSCHAFTEN noch über den plötzlichen Einbruch der Gefühle stolperten, da haben sich die Grifters durch gänzliche Fühllosigkeit gewappnet. Ihr Los Angeles ist eine Stadt der eiskalten Engel.

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